°KARL OVE KNAUSGARD: "LIEBEN"

Mit seinem monumentalen sechsbändigen Literaturprojekt unter dem Originaltitel "Mein Kampf" sorgte der norwegische Schriftsteller Karl Ove Knausgard in seiner Heimat für einen sensationellen Erfolg. Schwere aber faszinierende Kost sind diese - zumindest weitgehend - autobiographischen Romane, wie der erste auf Deutsch unter dem Titel "Sterben"erschienen Teil, in dem der Autor seine Jugend und insbesondere das sehr schwierige Verhältnis zum alkoholkranken Vater anging.

Nun liegt "Lieben" vor, doch der Titel des zweiten Bandes ist eher irreführend. Im Vordergrund stehen zwar das Werden und der Alltag der eigenen jungen Familie, doch ein Liebesroman ist das dennoch nicht und die Höhen und Tiefen leidenschaftlicher Gefühle und Umarmungen spielen so gut wie keine Rolle. Der Norweger mit Wohnsitz im schwedischen Malmö ergeht sich stattdessen im alltäglichen Trott mit Ehefrau und den Kindern John, Heidi, und Vanja.

Sei es das sehr durchschnittliche Familienleben, sei es die Geburt Vanjas, die psychische Krankheit Lindas oder die Begegnungen mit anderen Menschen - Knausgard beschreibt alles intensiv mit peniblen Beobachtungen bis hin zur Peinlichkeit alltäglicher Missgeschicke und Fehlleistungen. Wie hier mal gewesene Liebesgefühle in der Monotonie des Einerlei austrocknen, wie die Melange aus Windelwechseln, Kleinkinderkümmernissen, Kochen und Hausarbeit jegliche Romantik vertreibt und oft genug auch die Harmonie erdrückt, das wird hier mit unerbittlich klarem Blick analysiert.

Und der Autor geht in seinen hyperrealistischen Schilderungen auch mit sich selbst weder milde noch nett um. Dabei mäandert der 43-Jährige in seiner Ich-Konzentration in aller Breite aber auch Schonungslosigkeit in einem breiten ruhigen Fluss dahin. Irgendwie planlos scheint dieses Leben und er stöhnt innerlich in seiner Zerrissenheit zwischen den Freuden als Vater und den Ansprüchen an sich selbst als ambitionierter Schriftsteller, der sich immer wieder am Schreiben gehindert sieht. Über all dem liegt eine irritierende Unfähigkeit des selbstbezogenen Ich-Erzählers zur Lebensfreude und es mutet mehr als Fatalismus denn als Selbstkritik an, wenn er feststellt: "Der König des Ungefähren war ich."

Dieser radikale Realismus mit seiner minutiösen Genauigkeit des Geschilderten ist sicher nicht jedermanns Sache, eine Herausforderung auf hohem - auch sprachlichem - Niveau ist er allemal. Keine Romanze, keine spannende Beziehungsgeschichte, sondern das echte Leben auf beeindruckende und hochliterarische Weise erzählt. Da darf man auf die nächsten Bände gespannt sein.

 

# Karl Ove Knausgard: Lieben (aus dem Norwegischen von Paul Berf); 768 Seiten; Luchterhand Literaturverlag, München; € 24,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wanJULIUS)

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