EDWARD RUTHERFURD: "IM RAUSCH DER FREIHEIT"

Wer wollte bestreiten, dass New York eine ganz besondere Stadt ist?! 1624 begann die Weltmetropole mit 30 niederländischen Familien, die sich auf der von den Indianern Manhattan genannten Insel zwischen Hudson und East River ansiedelten und diesen Handelsplatz Nieuw Amsterdam nannten.

Aus der bewegten Geschichte dieser Ansiedlung aus der Frühzeit von 1664, die bald schon durch die Engländer übernommen wurde, bis ins Jahr 2009 hat der britische Erfolgsautor Edward Rutherfurd eine fulminante New York-Saga unter dem Titel "Im Rausch der Freiheit" geschaffen. Die vielschichtige Reihe von insgesamt 27 Zeitabschnitten beginnt er mit jenem Übergang unter die englische Krone, als König Charles II. die überseeischen Gebiete seinem Bruder unterstellte, dem namensgebenden Duke of York.

Hauptträger der Fortentwicklung sind die frühen Siedlerfamilien van Dyck und Master, wie ohnehin noch heute die Familien des sogenannten "alten Geldes" zumeist englische oder niederländische Namen tragen. Während der Name Master schon als eine Art Gründervater einen Grundstein legt, spielen die verdrängten Indianerstämme kaum eine Rolle, wogegen mit Quash ein afrikanischer Sklave frühe Spuren des recht großen Schwarzenanteils der heutigen Bevölkerung anlegt. Entlang durchweg historischer Ereignisse entwickelt sich so die einzigartige Metropole und der Master-Clan als erfolgreiche Unternehmer prägt einen großen Teil des Erzählten und bis zum Schluss taucht ein indianischer Glücksgürtel, ein kunstvoller Wampum, immer wieder schicksalhaft auf.

Zu den wichtigsten Geschehnissen gehören unter anderem der Aufruhr, der zur Revolution gegen die englische Herrschaft führte wie auch jener zu Zeiten des Bürgerkrieges. Auch Katastrophen werden dramatisch zum Leben erweckt wie der entsetzliche Brand der Triangle-Hemdenfabrik von 1911, bei dem hunderte junger Näherinnen verbrannten. Und schließlich vor dem nachdenklichen Ausklang im Jahre 2009 jener welterschütternde Anschlag vom 11. September 2001 als starker Schlussakkord.

Es gelingt Rutherfurd hier, das Geschehen auf sehr persönliche Weise unmittelbar zu machen ohne dick aufzutragen. Doch auch andere weltbewegende Ereignisse erhalten bei ihm eine nachempfindbare Dimension, sei es die Stimmung im Jahr 1917 mit Themen von einschneidender Bedeutung wie dem Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg oder die Verunsicherung durch die vagen Nachrichten über die russische Revolution, seien es die beiden fatalen Börsencrashs von 1907 und 1929.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wird der Kreis der Protagonisten mit faszinierenden neuen Aspekten durch die Wellen der europäischen Einwanderer noch bunter. Nun kommen die irischen O'Donnells und die deutschen Kellers hinzu, aber auch aus Italien die Familie Caruso - zwei Brüder erleben hier hautnah den spannenden Bau des Empire State Buildings - sowie die jüdische Familie Adler. Hinzu kommen historische Persönlichkeiten von George Washington über J.P. Morgen bis Johann Jakob Astor. Alle finden ihre Verflechtungen miteinander wie auch mit den "alten" Familien zu dem atemberaubend vielfältigen Kosmos, für den schließlich Gorham Master den Geist von "Imagine Freedom" für sich entdeckt.

Doch Autor Rutherfurd versteht es nicht nur, aus All dem ein farbenprächtiges authentisches Gemälde zu formen, er überrascht auch immer wieder mit hervorragend recherchierten realen Details, die wie selbstverständlich einfließen wie die Bedeutung der Wallstreet - benannt nach dem Wall, den die Niederländer gegen Indianer und Engländer auf Manhattan errichtet hatten - oder all die alten Namen, wo aus dem ursprünglichen Breugelen Brooklyn wurde und die Bronx nach einem frühen schwedischen Siedler heißt.

Dieser breite Erzählstrom und die überzeugende Verknüpfung all der Handlungsstränge und Familien in einem solch gewaltigen Epos machen Rutherfurd zu einem würdigen Erben von James Michener, dem Altmeister der großen realen historischen Sagas. Fazit: ein Meisterwerk des Genres und ein ganz großes Lesevergnügen.

# Edward Rutherfurd: Im Rausch der Freiheit (aus dem Englischen von Giovanni und Ditte Bandini); 1152 Seiten; Karl Blessing Verlag, München; € 29,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)