JÜRGEN TRIMBORN: "RAINER WERNER FASSBINDER"

"Ich möchte für das Kino sein, was Shakespeare fürs Theater, Marx für die Politik und Freud für die Psychologie war. Jemand, nach dem nichts mehr ist wie zuvor." Das war Rainer Werner Fassbinders Anspruch, nicht eben bescheiden, aber - er ist ihm gerecht geworden.

Fassbinder schrieb Filmgeschichte und endlich zum 30. Todestag in diesem Jahr liegt die erste umfassende und unabhängige Biographie zu dieser in jeder Beziehung Ausnahmepersönlichkeit vor. Mit Jürgen Trimborn hat sich ein exzellenter Filmexperte dem Kino-Fanatiker unter dem Titel "Ein Tag ist ein Jahr ist ein Leben. Rainer Werner Fassbinder" gewidmet. Anders als die bisherigen durchweg sehr einseitigen Schriften für oder gegen Fassbinder gelingt Trimborn dank hervorragender Recherche und auf Grundlage teils bisher unbekannter Fakten und Dokumente eine mutmaßlich objektive Darstellung des irrlichternden Genies.

Bei aller Sachlichkeit fesselt diese Biographie von Beginn an, denn schon die Kindheit hatte etwas düster Romanhaftes und legte manche Grundsteine für das später so exzessive Leben. Schon als Kind von der Mutter quasi verstoßen und in chaotische Lebensumstände gedrängt, war Fassbinder bereits in den frühen Jahren manisch-depressiv. Sehr oft sich selbst überlassen, setzt schon mit acht Jahren eine regelrechte Kino-Sucht ein und mit zwölf steht für ihn fest, dass er mal Filmregisseur werden wird. Die Jugendjahre jedoch wurden eher noch ungebärdiger, der schon früh abgewanderte Vater erwies sich als ähnlich lieb- und verständnislos wie die Mutter, mit den zu erwatenden Folgen für den Schulweg.

Geradezu provozierend offen bekannte sich schon der 14-Jährige zu seinem Schwulsein und es passte zu seinen Lebensumständen, dass er bis zu den ersten Filmerfolgen seinen Lebensunterhalt weitgehend als Stricher bestritt. Auch ohne Schulabschluss schaffte er es mit 18 schließlich auf die Schauspielschule. Das blieb zwar unergiebig, hatte aber einen wichtigen Nebeneffekt, denn er lernte Hanna Schygulla kennen.

Es folgen die wilden Jahre mit wirren Zeiten und chaotischen Verhältnissen mit dem Action-Theater, schon hier zwischenmenschlich und künstlerisch voller Extreme. Als wahrer Berserker setzt er seine Ambitionen rücksichtslos gegen sich und andere durch und äußert früh die Gewissheit, mal nicht alt zu werden. Schwer nur verkraftet das hypersensible Genie Misserfolge und Rückschläge, walzt diese jedoch mit um so fanatischerer Arbeit fort. Dabei jedoch schon früh auch stets begleitet von immer wieder ausuferndem Drogenkonsum, allem voran Kokain.

Aber es kommen die Erfolge in Kino und Fernsehen, sei es der internationale Durchbruch mit "Angst essen Seele auf", sei es der für ihn von Jugendzeiten an prägende Döblin-Roman "Berlin Alexanderplatz", den er zu einer Kult-Fernsehserie verfilmt - die beim Durchschnittszuschauer allerdings auf Irritation und Ablehnung stößt wie seine Person im Übrigen ebenso - oder schließlich der Welterfolg mit "Die Ehe der Maria Braun". Einmal mehr demaskierte er damit die gesellschaftlich spießig-verlogene Nachkriegszeit. Und er machte etliche seiner Akteure zu Weltstars, so neben der Schygulla zum Beispiel Armin Müller-Stahl.

Biograph Trimborn eröffnet einen faszinierenden Blick hinter die Kulissen dieser wilden Zeit, räumt aber auch mit Fehlurteilen auf wie dem der Nähe Fassbinders zu den deutschen Terroristen der RAF. Er belegt seinen bewussten Abstand zu jeglicher Ideologie und vereinnahmen ließ sich Fassbinder von gar niemandem. Stieg er immer mehr zum einflussreichsten aber nun auch kommerziell erfolgreichen Filmemacher auf, so drohte sein ungehemmter Drogen-, Tabletten- und Alkoholkonsum ihn zu zerstören. Auf Warnungen äußerte er mit dem berühmt gewordenen Satz: "Schlafen kann ich, wenn ich tot bin."

In 13 Jahren schuf er über 40 Filme und vieles mehr, die Katastrophe kurz nach dem 37., Geburtstag aber konnte nicht überraschen: bereits schwer ramponiert raffte ihn eine unbeabsichtigte Überdosis des in Unmengen genossenen weißen Pulvers über der Arbeit an einem Manuskript am 10. Juni 1982 hin. Ob auch ihm wie etlichen in seiner Entourage der just zu jener Zeit bekannt gewordene "Schwulen-Krebs" (Aids) ohnehin bald ein jämmerliches Ende hätte, bleibt nur zu ahnen, stark beeindruckt von den Horrormeldungen war Fassbinder jedenfalls bereits.

Doch welch ein Wahnsinnsleben, in dem Privates und Schaffen, Persönlichkeit und Erfolg untrennbar miteinander verwoben waren. Weitaus komplexer noch als die Biographien zum Beispiel zu Leni Riefenstahl oder Romy Schneider hatte Jürgen Trimborn es hier mit einer schier unglaublichen Figur der Film- und Kulturgeschichte zu tun und - er hat sich mit dieser so sachlichen Biographie noch selbst übertroffen.

Bleibt abschließend die Frage: muss man es typisch deutsch nennen, dass Rainer Werner Fassbinder international noch heute zu den ganz Großen des Genres zählt, in Deutschland dagegen eine beinahe vergessene oder zumindest mit Desinteresse belegte Größe ist?! Fassbinder hätte darauf wohl keine Antwort gegeben und eher auf einen seiner frühen Filme verwiesen, der wohl exemplarischer als alle anderen sein persönliches Schicksalsthema offenbarte: "Ich will doch nur, dass Ihr mich liebt" (1975).

 

# Jürgen Trimborn: Ein Tag ist ein Jahr ist ein Leben. Rainer Werner Fassbinder. Die Biographie; 464 Seiten, div. Abb.; Propyläen Verlag, Berlin; € 19,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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