HELEN FITZGERALD: "TOD SEI DANK"

Welch ein irrsinniges Dilemma für Will Marion: seine 16-jährigen Zwillingstöchter Georgie und Kay sind beide so schwer nierenkrank, dass nur baldige Spenderorgane sie retten können, er selbst aber kann ja nur eine Niere spenden. Für wen soll er sich entscheiden?! Oder gibt es noch andere Optionen?

Die in Schottland lebende australische Erfolgsautorin Helen FitzGerald hat sich bisher mit aberwitzig spannenden und zugleich tiefschwarzen Kriminalkomödien in die oberste Liga geschrieben. Mit "Tod sei Dank" aber nimmt sie sich erstmals ein sehr ernstes Thema vor. Das verdrängt einerseits manches von dem knurrigen bis zynischen Humor, der eines der Markenzeichen ihrer Krimis war, andererseits sei vorweg gesagt, dass ihr der Umstieg grandios gelungen ist.

Selbst der Verzicht auf ihre chaotische Heldin Krissie ist zu verschmerzen, denn die einschlägigen Berufserfahrungen der Autorin als Sozialarbeiterin im Glasgower Strafvollzug finden auch hier ihren realistischen Niederschlag. Am Anfang aber steht das Scheitern von Will Marions Ehe, als die flippige Cynthia ihn über Nacht mit den gerade dreijährigen Zwillingen sitzenlässt. Sie verschwindet spurlos, weil Will einfach zu brav und unentschlossen ist, ganz im Gegensatz zu Heath Jones, ihrem Drogendealer und Liebhaber, dem sie seit Jugendjahren verfallen ist.

Trotz allem hat es Will geschafft, das Haus zu pflegen und seine Töchter erfolgreich großzuziehen. Ein wenig Hilfe leisten auch die grünen Witwen des Wohnviertels, allen voran die ausgehungerte Linda. Inzwischen beginnen die biestige Georgie und ihre brave und lernbegierige Schwester Kay ihre Pubertät in vollen Zügen auszukosten. Bis zu dem Schock, als der Grund für immer stärkere Gesundheitsprobleme aufgedeckt wird, eine unheilbare Nierenkrankheit. Die Szenen der Dialyse-Aufenthalte sind beklemmend beschrieben und das noch mehr in dem Wissen,. dass ohne Spendernieren trotzdem bald alles vorbei sein wird.

Der verwzeifelte Vater steht vor der unmöglichen Entscheidung, welcher seiner Töchter er mit seiner Niere das Weiterleben ermöglichen soll. Natürlich denkt er an die untergetauchte Cynthia als Spenderin der zweiten Niere und er engagiert einen Privatdetektiv. Tatsächlich macht der seltsame Typ die Rabenmutter in Ägypten ausfindig und er schafft es sogar, sie nach Glasgow zu lotsen - wobei das eigentliche Lockmittel allerdings die Aussicht auf die alte Liebe Heath ist. Wenngleich der als notorischer Verbrecher wenig Chancen hat, aus dem Strangeway-Gefängnis für ganz schwere Jungs entlassen zu werden.

Doch Wills Hoffnung wird ebenso schmählich zerstört wie die der Mädchen, denn die Ärzte stellen fest, dass die verlotterte und durch und durch asoziale Schlampe ihren Körper durch die Drogensucht heillos zerrüttet hat. Hier wird der Kommentar der ohnehin stets düster gestimmten Georgie - die als einzige als Ich-Erzählerin auftritt und damit für eine besonders herbe Authentizität sorgt - zum galligen Monolog einer zutiefst vergrämten Tochter.

Doch so sehr sie ebenso den Vater - nicht zu Unrecht - als hilfloses Weichei schmäht, so wächst der in seinem Verzweiflungslauf allmählich und ist doch mindestens so elterngeschädigt wie seine Töchter. Er trägt sich schweren Herzens mit dem fragwürdigen Gedanken, sich Spendernieren auf dem illegalen asiatischen Markt zu besorgen. Seine gänzlich lieblosen und kalt materiell eingestellten Eltern stellen sich jedoch taub gegenüber seinen Bitten um Unterstützung und es ist diese widerwärtige Herzenskälte, die auch Wills schwaches Rückgrat von Jugend an erklärt.

Dennoch läuft er schließlich zu ungeahnter Hochform auf und die Jagd nach dem Überleben der Mädchen entwickelt sich zu einem atemberaubenden Finale voller Dramatik und Aberwitz. Für solche Schlussakte besitzt Helen FitzGerald ein geradezu geniales Gespür, das gilt aber ebenso für ihre einmal mehr einzigartigen Charakterzeichnungen. Das Alles ist packend und lebensprall und geht bei aller Absurdität des Geschehens mit seinem Realismus tief unter die Haut.

Man kann diesen Roman kaum einem einzigen Genre zuordnen, auf jeden Fall aber ist er ein Meisterwerk, das immer wieder an Grenzen geht. Zartbesaitete seien allerdings gewarnt vor der drastischen Sprache von teils ätzendem Sarkasmus.

 

# Helen FitzGerald: Tod sei Dank (aus dem Englischen von Steffen Jacobs); 264 Seiten; Verlag Galiani, Berlin; € 18,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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