RÜDIGER SCHAPER: "KARL MAY"

Karl May (1842-1912) zählt mit über 200 Millionen verkauften Büchern weltweit zu den erfolgreichsten Romanschriftstellern aller Zeiten. Dennoch gilt er vielen noch heute nur als mittelmäßiger Autor von Jugend- und Unterhaltungsliteratur und er wurde in seinen letzten Lebensjahren sogar wegen "Volkshirnerweichung durch seine Werke" geschmäht.

Zur 100. Wiederkehr seines Todestages in diesem März stellt Rüdiger Schaper den legendären Erfinder solch unsterblicher Roman-Helden wie Winnetou, Old Shatterhand und Kara ben Nemsi in einer kritischen Biographie in ein angemessen objektives Licht. "Karl May. Untertan, Hochstapler, Übermensch" lautet der Titel und all dies war der Sachse, der aus ärmlichsten Verhältnissen stammte. Früh kam er mit dem Gesetz in Konflikt und verbrachte insgesamt rund acht Jahre im Gefängnis.

Doch in einzigartiger Weise nutzte er diese Zeit, denn dort schuf er sich als eifrigster Leser von sämtlichen erreichbaren Büchern einen Wissenschatz, mit dem er nach der Entlassung ab dem 32. Lebensjahr endlich gewinnbringend umsetzen konnte, was ihn unter anderem hinter Gitter gebracht hatte: seine von geradezu genialer Fabulierkunst getriebene Hochstapelei, die er nun zu Literatur machte. Obwohl er erst im Alter erstmals aus Deutschland herauskam, wurde er mit Reiseerzählungen berühmt und erfolgreich, von denen er bald schon behauptete, sie aus eigenem Erleben niedergeschrieben zu haben - durchweg auf der Grundlage des angelesenen Wissens.

Schon die Abenteuer des Orientreisenden Kara ben Nemsi - dem christlichen Helden aus Deutschland mit dem muslimischen Diener und Freund Hadschi Halef Omar - werden zu Bestsellern und mit den Winnetou-Romanen wird er zum literarischen Pop-Star der wilhelminischen Ära. Der Biograph schält dazu erstaunliche Fakten heraus, so seinen kaum fassbarer Fleiß, denn mit einer geradezu industriellen Arbeitsleistung schafft er in ausschließlicher Handarbeit ein unglaublich umfangreiches Werk. Das Erfolgsrezept ist dieser einzigartige Mix, in dem er Trivialität, Größe, Gemeinsinn und Genie mit kolportagehafter spannender Handlung samt Humor und hinreißenden Reisebeschreibungen vermengt.

Genial aber ist zugleich die von niemandem so beherrschte und bis dato noch unbekannte Selbstvermarktung. Er erfand sich ja nicht nur als Kara ben Nemsi und Old Shatterhand selbst, indem er immer selbstverständlicher vorgaukelte, er berichte in den Romanen als ebendiese von eigenen Abenteuern, er vermarktete sich dazu mit Inszenierungen durch Fotos und seiner "Villa Shatterhand" - dabei entstand Alles doch "nur" am Schreibtisch in seinem Kopf.

Das aber schlug im Alter gegen ihn zurück, als Übelwollende dies nicht nur enttarnten, sondern ihn schmähten und in endlose Prozesse verwickelten. Die Kritik wiederum hat den Bienenfleißigen der Massenschreiberei ohne kulturellen Wert geziehen, zumal sein Frühwerk "erzählerische Schutthalden" waren auf dem Niveau von Groschenheftchen. Dabei werden nicht nur die späteren literarischen Qualitäten missachtet sondern auch seine Anliegen, denn May war ein Mann der Völkerverständigung, des Ausgleichs zwischen den Religionen und eine Art früher Friedensbewegter - dabei nicht von ungefähr mit der Friedens-Nobelpreisträgerin Bertha von Suttner (1905) befreundet.

Der Autor, der unvergessene und stilprägende Helden von vielen Generationen geschaffen hat, blieb ein sogenannter Dauerseller, weil er ganze Parallel-Universen schuf. Dabei ist sein Werk bemerkenswert geschlechtslos und allein schon deshalb von jeher jugendfrei. Endgültig unsterblich machte ihn schließlich die Renaissance durch die bunten Karl-May-Filme, auch wenn sie Massenware waren und nur noch wenig von den ihm wichtigen innewohnenden religiösen und weltanschaulichen Gedankengängen aufwiesen.

Rüdiger Schaper zeigt den großen Selbstinszenierer als schillernde Figur mit einer offensichtlichen narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Doch noch heute bringt er mit seinen Romanen nicht nur ganz junge Menschen zum Träumen, wenngleich manche Werke so versponnen und erbaulich sind, dass sie für heutige Leser kaum noch verdaulich sind. Gleichwohl lobt der Biograph Karl May als einen großen Literaten, dem ein hoher Rang in der deutschen Kultur- und Literaturgeschichte gebührt. Und wenn sein Leben eine Achterbahn und gar zu vieles nur erfunden war: "Sein Reich war nicht (ganz) von dieser Erde."

 

# Rüdiger Schaper: Karl May. Untertan, Hochstapler, Übermensch; 240 Seiten, div. Abb.; Siedler Verlag, München; € 19,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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