JANN MARKUS WITT: "PIRATEN"

Wilde gesetzlose Burschen, die die Freiheit lieben? Helden, die es Robin Hood nachtun und den Armen geben, was sie den Reichen abgenommen haben? Welche Berechtigung hat die romantisierende Verherrlichung von Piraten in Romanen und Filmen, wie zuletzt in den Welterfolgen von "Der Fluch der Karibik"?

Schlichtweg gar keine, wie der Marinehistoriker Jann Markus Witt in seinem exzellent ausrecherchierten Sachbuch "Piraten. Eine Geschichte von der Antike bis heute" unabweisbar belegt. Schon die Römer hatten im 1. Jahrhundert vor Christus ein existenzbedrohendes Problem mit der Seeräuberplage im Mittelmeer, das erst Feldherr Pompeius im Jahre 67 v. Chr. mit einem genialen Seefeldzug lösen konnte. Verbrecher aber blieben die Piraten bis auf den heutigen Tag und es gibt eine klare Definition über das Wesen dieser ozeanischen Straßenräuber: "Die wahre Geschichte der Seeräuberei ist eine endlose Abfolge von Mord, Plünderung und Vergewaltigung."

Die Wikinger suchten über Jahrhunderte die britischen Inseln aber auch Städte wie Köln und Paris heim, die Barbaresken - als Korsaren in etlichen bunten Filmen zu malerisch unheimlichen Helden stilisiert - hatten zeitweise eigene Reiche an der nordafrikanischen Küste und ihre Beute waren oft genug auch Christen, die versklavt wurden. Wer dann meint, der noch heute durch Denkmäler, Straßenbenennungen und Festspiele gefeierte norddeutsche Seeheld Klaus Störtebeker sei dagegen ein Freund der Armen gewesen, sollte wissen, dass seine Opfer weniger die geschröpften Kaufleute als vielmehr die gemeuchelten Besatzungen waren. Für die Verteilung von Beute an Bedürftige fehlt im Übrigen jeder Beweis.

Noch am ehesten als nachvollziehbar für eine gewisse Heldenverehrung erläutert Witt jene Kaperfahrer, die im Auftrag von Herrschern gegen feindliche Schiffe auf Beute gingen. Hier wurden Männer wie John Hawkins oder der vielgerühmte Sir Francis Drake - von Königin Elizabeth I. eigenhändig für seine Erfolge gegen die mächtigen Spanier geadelt! - zu Helden zumindest ihres eigenen Landes. Viele Mythen aber nähren sich aus einem Mangel an Fakten über die Realität der Seeräuberei und die tatsächlich begangenen unsäglichen Gräuel.

Vielfach sind die Dimensionen der Piraterei und ihrer Tragweite für ganze Staaten gar nicht bewusst. So beschreibt der Experte, wie sich im frühen 19. Jahrhundert die noch jungen Vereinigten Staaten sogar gezwungen sahen, ganze Flotten gegen nordafrikanische und karibische Seeräuberstützpunkte zu entsenden. Und natürlich geht Witt auch dem höchst aktuellen Übel der vor allem somalischen Seeräuber nach, die weite Teile des Indischen Ozeans unsicher machen und rund die Hälfte aller weltweiten Piratenakte verüben.

In einem ausführlichen Kapitel beschreibt er, wie das Zerbröseln jeglicher staatlicher Strukturen die wild wuchernde Piraterie ermöglichte. Auch hier sind es habgierige Verbrecher, allerdings hochmodern ausgerüstet und schwer zu bekämpfen mit ihren Schnellbooten, wenn sie Lösegeld für Besatzungen und wertvolle Ladungen erpressen. Und selbst die Flotte der Anti-Piratenkräfte von "Atalanta" tut sich schwer gegen dieses stets gut informierte Verbrecherpack mit ihren ständig wechselnden Standorten.

Jann Markus Witts Beweisführung ist ebenso spannend wie eindeutig: Piraten waren und sind eine Plage für jegliche Zivilisation und taugen bei vernünftiger Würdigung aller Erkenntnisse zu nichts weniger als zur Verklärung oder gar Verherrlichung als romantische Helden. Fazit: ein großartiges Buch zu einem der ganz üblen Menschheitsproblemen nicht nur unserer Zeit.

 

# Jann Markus Witt: Piraten. Eine Geschichte von der Antike bis heute; 152 Seiten, div. Abb., Großformat; Primus Verlag, Darmstadt;

€ 29,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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