HERMAN KOCH: "SOMMERHAUS MIT SWIMMINGPOOL"

Marc Schlosser ist bei seinen Patienten sehr beliebt, denn welcher Hausarzt nimmt sich schon jeweils 20 Minuten Zeit voller Aufmerksamkeit für sie? Wüssten sie jedoch, was der zynische Misanthrop über sie denkt, würden sie ganz schnell den Arzt wechseln. So aber geht es ihm gut, zumal er bei seiner attraktiven Frau Caroline und den Töchtern Julia (13) und Lisa (11) durchaus liebender Familienvater sein kann.

Sein clever aufgebautes Erfolgssystem kommt schließlich durch eigenes Zutun ins Wanken, als unter seinen Promi-Patienten der ziemlich berühmte Theaterschauspieler Ralph Meier auftaucht. Der alternde Mime mit dem massigen Körper hat zu viel Raubbau mit sich getrieben und erhält von Schlosser die passenden Muntermacher. Damit setzt eine Verbindung ein, die nach dem ersten Kennenlernen der beiden Ehepaare ins "Sommerhaus mit Swimmingpool" führt.

Das ist auch der Titel von Herman Kochs zweitem bitterbösen Gesellschaftsroman, in dem der niederländische Autor seinen Ich-Erzähler eine knorrige Rückschau auf 18 unheilvolle Monate nehmen lässt. Der grantige Mediziner, der seine galligen Ansichten über die Menschen an sich und über Körper insbesondere ganz wesentlich von seinem Mentor, dem umstrittenen Biomedizin-Professor Aaron Herzl übernommen hat, findet ältliche Männer, die auf junge Frauen geiern, abstoßend und bei Kinderschändern pflichtet er den radikalen soziobiologischen Methoden Herzls voll zu.

So wurmt ihn der lüsterne Raubtierblick Meiers auf seine Caroline. Was ihn aber nicht davon abhält, selbst Meiers junge Frau Judith derart begehrlich zu finden, dass er den nächsten Urlaub so arrangiert, dass er zwangsläufig in Meiers Feriendomizil, dem titelgebenden Sommerhaus, führt. Angeheizt vom Sommerwetter und reichlich Testosteron entfaltet sich dort eine schwüle Athmosphäre. Zu der trägt der 60-jährige Freund Meiers, der US-Regisseur Stanley, mit seiner blutjungen Begleiterin ebenso bei wie Meiers Neigung zum Nackigen, zu Völlerei und zu anzüglichen Spielchen.

Schlosser beäugt all das mit Unwillen, baggert aber heimlich die ihm sehr zugetane Judith an. Nach allerlei teils rabiaten Ereignissen passiert jedoch ein Unglück, das den Ich-Erzähler aus dem Lot wirft. Meiers Sohn Alex sollte Julia beim Ausgehen begleiten, vernachlässigt dies jedoch, weil sie seine Teenager-Avancen nicht erwidert. Und dann wird sie am Strand gefunden - bewusstlos und offenbar vergewaltigt. Allerdings auch ohne Erinnerung an das Vorgefallene.

Natürlich bringt Schlosser seine Familie sofort heim, hegt aber auch gleich einen fürchterlichen Verdacht, denn - hatte sich der präpotente Meier nicht ziemlich auffällig verhalten?! Da zeigt der kalte Zyniker auf einmal Gefühle und noch mehr: er sieht Rot und er ist Arzt. Mit üblen Folgen, denn das Schicksal treibt ihm das Objekt seiner doch so berechtigten Rachegedanken tatsächlich in die Praxis. Meier hat Beschwerden und Schlosser frohlockt über die Chance, die diese angebliche Fettgeschwulst bietet, die er sofort als akuten Fall von Hautkrebs erkannt hat. Da bekommt der Begriff "ärztlicher Kunstfehler" eine ganz eigene Bedeutung...

Dennoch ist das noch nicht das Ende dieser immer wieder mit Überraschungen gespickten tiefschwarzen Geschichte. Brillant erzählt fesselt dieser Roman, der sich erst allmählich zum Thriller entwickelt, bis zuletzt. Pralle Pointen und knirschende Lebensanschauungen sind hier mit hinreißenden Charakteren kombiniert zu einem herben Lesevergnügen, nach dem man den nächsten Arztbesuch gern ein wenig hinauszögern wird...

 

# Herman Koch: Sommerhaus mit Swimmingpool (aus dem Niederländischen von Christiane Kuby); 346 Seiten; Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln;

€ 19,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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