YASSIN MUSHARBASH: "RADIKAL"

Mit seinem Charisma macht der ägyptisch-stämmige Lutfi Latif Furore im Berliner Politikbetrieb und bei den anstehenden Neuwahlen zieht der als deutscher Obama gefeierte Grünen-Politiker in den Bundestag ein. Doch kaum im Parlament angekommen, wird sein Büro mit Droh-Mails überschwemmt. Von Islamisten, denen sein Streben nach einem modernen aufgeklärten Islam entschieden zu weit geht. Aber auch von Islamhassern aus teils dubiosen deutschen Kreisen.

Das ist der Ausgangspunkt für Yassin Musharbashs Politthriller "Radikal", der in der fiktiven Gegenwart spielt, dabei jedoch haarsträubend realistisch ist. Latif lehnt den vom BKA angebotenen Personenschutz ab, allerdings zieht seine Assistentin Sumaya al-Shami den Terror-Experten Samuel "Samson" Sonntag hinzu, dessen Verbindungen weit in die Szene hineinreichen. Zur gleichen Zeit recherchieren beim Wochenmagazin "Globus" Merle Schwalb und "die drei ???" als hochkarätiges Journalistenteam in der deutschen Grauzone um aktive und schlafende islamistische Terrorzellen.

Dann jedoch passiert genau das, von dem Deutschland als eines der wenigen westlichen Länder bisher verschont geblieben ist: in einer Frühstücksfernseh-Sendung explodiert eine Bombe und der Terroranschlag kostet 14 Menschenleben, darunter auch das Lutfi Latifs. Sehr bald schon liegt ein einschlägiges Bekennervideo von al-Quaida vor. Sumaya und Samson aber hegen Zweifel, zumal sie unter den vielen schriftlichen Drohungen gegen Latif auch solche deutscher Radikaler entdeckten, die den Untergang des christlichen Abendlands durch die Zuwanderer aus dem Morgenland befürchten.

Tatsächlich gelingt es Samson, eine kleine aber höchst radikale Gruppierung zu infiltrieren, die sich wie eine rechtsextreme Freimaurerloge gebärdet und als "Kommando Karl Martell" firmiert, nach jenem fränkischen Feldherrn, der im Jahr 732 mit einer großen Schlacht entscheidend dazu beitrug, die Mauren aus Westeuropa fernzuhalten. Entstanden ist diese Terrorzelle als geheimer Polit-Salon und dessen Mitglieder kommen aus besten Kreisen mit einem Hochkaräter als Kopf. Provokation und Bekämpfung der Muslime sind die Ziele und wer das für Fantasterei halten möchte, sollte an den Amoklauf von Norwegen und den erst jetzt voll realisierten Neonazi-Terrorsumpf in unserem Land denken.

Wenn dabei eine Figur einem gewissen Thilo Sarazin ähnelt, so muss das ebenso wenig wundern wie der satirische Umgang mit den Journalisten des "Globus" und des Politikbetriebs der geschäftigen Berliner Republik, denn Autor Musharbash arbeitet hauptberuflich für den SPIEGEL. Doch auch die Kenntnisse über das Treiben der Muslime und insbesondere von al-Quaida sind die eines Experten, der unter anderem mit einem wichtigen SAchbuch über die Terrororganisation hervortrat.

Es verschlägt immer wieder den Atem, wenn er hier Netzwerke des Terrorismus bloßlegt und diese erschreckend oft auch in höhere deutsche Kreise weisen. Das macht diesen rasant geschriebenen Thriller mit seinen vielen aktuellen Bezügen so authentisch und beängstigend zugleich, denn er ist politisch hochbrisant und realistisch. Fazit: ein Roman in den Fußstapfen eines le Carré oder Forsyth, dabei jedoch höchst gegenwärtig.

 

# Yassin Mushabash: Radikal; 397 Seiten, Klappenbroschur; Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln; € 14,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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