LOUISA YOUNG: "EINS WOLLT ICH DIR NOCH SAGEN"

Nadine und Riley lernen sich 1907 durch einen Unfall kennen und werden enge Freunde. Da sind sie elf. Als sie sich Jahre später jedoch verlieben, hintertreibt Nadines Mutter diese nicht standesgemäße Beziehung, denn dies ist das British Empire mit seinem intensiven Klassendenken und Riley kommt aus dem Arbeiterviertel, Nadine aber aus dem gehobenen Bürgertum.

Ebenso gedemütigt wie wütend meldet sich der gerade 18 gewordene Riley freiwillig an die Front. Nicht für ein ganzes Jahr sondern "nur für die Dauer des Krieges", so sein Wille. Doch dieses Völkerschlachten, das da 1914 begonnen hat, ist der Erste Weltkrieg und Riley steckt im Nu und auf lange Zeit im tiefsten Wahnsinn des mörderischen Hin und Her in Flandern und nur der intensive Briefverkehr mit Nadine gibt ihm ein Stück Lebensmut.

Damit setzt Louisa Youngs Debütroman "Ein wollt ich dir noch sagen" ein und die beiden einzigen Kritikpunkte seien vorweg erwähnt: Titel und Aufmachung des Buches sind dem Inhalt und seiner Qualität gänzlich unangemessen. Es geht um eine große Liebe und zusätzlich um eine zweite, schwierige Beziehung, vor allem aber ist dies ein exzellenter Anti-Kriegsroman, der tief unter die Haut geht.

Während Riley in all dem Blutvergießen um ihn herum innerlichen Halt in den Briefen findet und es trotz der schlimmen Zeiten bei einem Kurzurlaub sogar zum Glücksmoment der Verlobung kommt, hat sein Kommandeur Peter Locke bei aller brennenden Liebe zu seiner Frau Julia ein großes Problem der Kommunikation mit ihr. Die Schöne ist eine hypersensible Narzisstin und giert ständig nach Anerkennung, er jedoch tut sich trotz Bildung und Herzensgüte schwer damit, sich mitzuteilen.

Aber dies ist, wie gesagt, bei weitem nicht nur ein Liebesroman, denn es eröffnet sich eine ganz andere Dimension, als Riley nun eine grausige Tragödie widerfährt: als er im Lazarett zu sich kommt, erfährt er stückchenweise von seiner schweren Gesichtsverletzung. Ein großer Teil seines Unterkiefers ist weggeschossen und er ist entsetzlich entstellt. Angesichts der auf ihn zukommenden Rekonstruktionsversuche denkt er bitter: "Ich bin nicht länger ein Mann, der Dinge tut. Ich bin ein Mann, mit dem Dinge getan werden."

Die zahllosen komplizierten Operationen, die jetzt auf ihn zukommen, um ihm wieder ein lebensfähiges Gesicht zu geben, sind so grandios beschrieben wie die gesamte Situation im Queen's Hospital in Sidcup - das übrigens ebenso echt ist wie der plastische Chirurg Major Harold Gillies, der auch bei Riley seine oftmals genialen Methoden einsetzt.

Eine wichtige Mittlerrolle zwischen tiefster Depression und Überlebenswillen spielt dabei an Rileys Bett die altjüngferliche Rose Locke, Cousine seines Kommandeurs. Doch ihr fällt auch die grausame Aufgabe zu, Nadine die Lüge zu übermittlen, mit der der äußerlich wie innerlich verwüstete Rily die geliebte Frau von einer Zukunft an der Seite eines Wracks befreien will. In ihrer Verzweiflung meldet sich die bereits versierte Nadine als Hilfsschwester an die Front, wo sie das Grauen des Krieges noch unfassbarerer und unmittelbarer miterlebt als in den Lazaretten daheim.

Es spricht für die hohen erzählerischen Qualitäten von Louisa Young - die unter dem Pseudonym Zizou Corder gemeinsam mit ihrer Tochter Isabel bereits die weltweit erfolgreiche Kinderbuchtrilogie um den "Lionboy" verfasste - dass es ihr gelingt, all dieses Elend und die persönliche Tragik in einem Hoffnungsschimmer enden zu lassen. Mit diesem meisterhaft geschriebenen Roman, der seine tragischen und emotionalen Tiefgänge dezent zwischen den Zeilen versteckt, hat sich die Autorin zugleich in die Reihe der wenigen Autoren ganz großer Antikriegsromane eingereiht.

 

# Louisa Young: Eins wollt ich dir noch sagen (aus dem Englischen von Claudia Feldmann); 426 Seiten; List Verlag, Berlin; € 18

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

Dieses Buch bei Amazon.de bestellen. 


Kennziffer: BEL 829 - © Wolfgang A. Niemann - www.Buchrezensionen-Online.de