MATT POTTER: "TÖDLICHE FRACHT"

Fliegen ist das Einzige, was sie gelernt haben und was sie wollen. Nach dem Ende der Sowjetunion ab 1992 jedoch wurden die Afghanistan-Veteranen nicht mehr gebraucht, ihr Sold war wegen des Rubel-Verfalls nichts mehr wert und obendrein galt nun alles als falsch, wofür sie jahrelang gekämpft hatten.

So wurden aus den früheren sowjetischen Transportfliegern Söldner für das unglaublichste Schmuggler-Netzwerk der Welt. Der britische BBC-Journalist Matt Potter hat nicht nur das Warum recherchiert, ihm gelangen tiefe Einblicke in den Alltag der kampferprobten stoischen Lufthelden. "Tödliche Fracht. Das heimliche Geschäft mit Waffen und Drogen" hat er seinen Bericht überschrieben und wenngleich aus naheliegenden Gründen bis auf einige hochrangige Protagonisten alle handelnden Personen anonymisiert wurden - dies ist kein Roman sondern ein Tatsachenbericht.

Bevor Potter die abenteuerlichen Flüge an der Seite von "Mickey und seiner Crew" schildert, erläutert er den Weg zu all den Kurieren des sogenannten "grauen Marktes". Der Ausgangspunkt war der Zusammenbruch der hochgerüsteten Sowjetunion, als plötzlich hunderttausende von Soldaten quasi vor dem Nichts standen und allein in der nun unabhängigen Ukraine Waffen- und Materialbestände für über 600.000 Armeeangehörige "über" waren. Die Führung befürchtete wohl zu recht, dass aus den in ihrer Existenz bedrohten Truppen Gefahren von bürgerkriegsähnlichen Entwicklungen drohten.

Das führte zu dem folgenreichen Ukas des immer noch mächtigen Verteidigungsministers Marschall Schaposchnikow an die Truppen, sich durch Verkäufe überflüssig gewordener Bestände zu bedienen. Unter den Fliegern aber waren nun etliche, die sich nicht einfach bereicherten sondern sich preiswert mit ihren bisher geflogenen Maschinen verworgten und fortan für jedermann transportierten, was immer von einem Ort zu einem anderen gebracht werden sollte.

Dazu standen ihnen die weltgrößten Transporter zur Verfügung, allen voran die gigantische Iljuschin Il 76. Und dieses legendäre Flugzeug konnte mehr als nur riesige Frachtmengen transportieren, clevere Crews entledigten sich sämtlicher Sicherheitsausrüstung im Bauch der Il 76 und gewannen dadurch Platz für zusätzliche Fracht - bis zu 15 Tonnen. Die aber so verborgen, dass sie kaum aufzuspüren waren und damit Möglicheiten eröffneten, höchst einträglich "destabiliserende Güter" fortzuschaffen.

Wie sich wechselnde Netzwerke entwickelten, wie der Wüsten-Airport Schardschah zeitweise ein Drehkreuz für all die diskret gegründeten Söldner-Fluglinien wurde und wie sämtliche Krisen- und Kriegsgebiete von Afghanistan über Jugoslawien bis Zaire bedient wurden - das liest sich atemberaubend. Ob Waffen, Munition, Drogen, Blutdiamanten und vieles Verbotene mehr, die Luftkutscher flogen für jeden, der zahlte. Das umfasst jedoch außer Diktatoren und Bösewichtern wie aus einem James-Bond-Film ebenso westliche Regierungen, NGOs und immer wieder auch gutmeinende Hilfsorganisationen.

Wenn es schnell gehen musste mit Nachschub oder Hilfsgütern, orderten auch "die Guten" die sofort zur Verfügung stehenden Transporteure. Sie ahnten nichts von heimlichen Zusatzladungen oder Schmuggelgut auf den Rückflügen. Wie hochgradig gefährlich diese Jobs für die fliegenden Söldner dabei stets waren und sind, erlebte Potter etliche Male am eigenen Leib mit. Mal musste eine überschwer beladene Il 76 einen Kavalierstart hinlegen oder einen irren Kurvenanflug wegen drohenden Raketenbeschusses machen, mal rappelte und ächzte die längst betagte und nur notdürftig gewartete Maschine in allen Nähten. Und so manches alte Schlacht-ross bescherte den Crews ein krachendes Ende, wobei etliche Abstürze auch recht dubios waren.

Das Alles liest sich zuweilen spannender als ein Roman, wobei man spekulieren könnte, ob die ein oder andere reißerische Schilderung ein wenig überzogen ist. Generell aber beruht dieser Bericht aus einer gefahrgetränkten verborgenen Welt auf Tatsachen. Matt Potter hat dafür einen riskanten aber gelungenen Job gemacht. Am sehr direkten, journalistisch heruntergeschriebenen Stil sollte man sich dabei nicht stören, denn hier hat ein mutiger investigativer Reporter aus der Fülle des real Erlebten geschrieben und nicht ein Literat.

 

# Matt Potter: Tödliche Fracht. Das heimliche Geschäft mit Waffen und Drogen (aus dem Englischen von Christoph Bausum); 400 Seiten, diverse Abb., Klappenbroschur; Econ Verlag, Berlin; € 18

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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