JOHANNES WILLMS: "TALLEYRAND"

Charles-Maurice de Talleyrand ist der wohl berühmteste Diplomat der Wertgeschichte. Sechs Regimen diente er und stets in wichtigen Funktionen, zugleich beschrieben die Biographen den adelig-klerikalen Lebemann und Frauenfreund bisher stets als skrupellosen Opportunisten und Verräter.

Dem Rätsel dieser schillernden Persönlichkeit hat sich der Historiker Johannes Willms unter dem Titel "Talleyrand. Virtuose der Macht 1754 - 1838. Eine Biographie" gewidmet. Zur intensiven Recherche gehörten hier neben anderen Zeugnissen auch die Memoiren und Willms befreit sie von manch blumigen Selbstdarstellungen des auch als eitel und luxusssüchtig bekannten Spross einer mittelprächtigen Adelsfamilie im Perigord.

Unzweifelhaft prägte der angeborene Klumpfuß das Schicksal des Erstgeborenen, denn so verblieb dem angeblich ungeliebten Sohn nur die Kirchenlaufbahn. Zwar widerwillig angetreten, eröffnete sie ihm trotz gänzlicher Gleichgültigkeit in geistlichen Dingen ungeahnte Karrieremöglichkeiten. Bedenkenlos nutzte er diese und wurde mit 35 Jahren bereits zum Bischof von Autun ernannt - im französischen Schicksalsjahr 1789.

Mit Raffinesse schafft er es, umgehend als Vertreter des Klerus in die Nationalversammlung gewählt zu werden und - er stellt sich auf die Seite der Revolutionäre. Talleyrand, der mit den Finanzen bestens vertraute Generalvikar der Kirche, ist es hier, der die bald durchschlagende Verstaatlichung des immensen Kirchenbesitzes zugunsten der maroden Staatsfinanzen vorschlägt. Doch aus der Revolutionszeit gelingt ihm ebenso fintenreich der aktive Wechsel in das Regime Napoleons.

Mögen diese beiden Egomanen einander auch zumindest anfangs bewundern, zeigt der Größenwahnsinnige dem ehrgeizigen Außenminister seine Grenzen auf. Der ebenso intrigante wie weitsichtige Talleyrand erkennt jedoch bald, dass Napoleon Frankreich ins Unglück zu stürzen droht - und wechselt in einer Mischung aus diplomatischen Winkelzügen und Hochverrat die Seiten und konspiriert sogar mit Napoleons Gegnern. Was ihm so abgefeimt gelingt, dass der Kaiser es zu keiner Zeit durchschaut.

Diesem Meisterstück der Schattendiplomatie lässt Talleyrand jedoch beim Wiener Kongress zur Neuordnung ein noch größeres folgen: das völlig besiegte Frankreich geht aus den Friedensverhandlungen ohne jeden Gebietsverlust hervor. Hier heißt einer der Gegenspieler Metternich und der ebenfalls für seine diplomatischen Winkelzüge berühmte Österreicher weist als ähnlich kühler Realpolitiker die Schmährufe gegen den wendigen Kollegen zurück: "Er könnte nicht das sein, was er ist, wenn er moralisch wäre."

So etwa lautet schließlich auch das Resümmee Willms', der bei Talleyrand zwar den allseits verurteilten hemmunglosen Opportunismus nicht in Abrede stellt, diesen aber mit einem tief verwurzelten Patriotismus verknüpft sieht. Wann immer Talleyrand als Baumeister oder Zerstörer der wechselnden Regime seiner jahrzehntelangen Ära als aktiver Politiker wirkte, das Wohl Frankreichs stand stets im Mittelpunkt seines Strebens.

Selbstlosigkeit war ihm dabei allerdings gänzlich fremd. Wie er es gleichwohl immer wieder verstand, das von ihm geförderte Staatswohl mit seinen eigenen Interessen und seinen Karriereabsichten zu verbinden, das ist neben der glänzenden komprimierten Darstellung der gesamten Epoche das besondere Verdienst dieser anspruchsvollen und zugleich außerordentlich spannend aufbereiteten Biographie.

 

# Johannes Willms: Talleyrand. Virtuose der Macht 1754 - 1838. Eine Biographie; 384 Seiten, div. Abb.; C. H. Beck Verlag, München; € 26,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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