WOLFGANG HERLES: "DIE DIRIGENTIN"

Er war Staatsminister und einer der engsten Vertrauten von Bundeskanzlerin Christina Böckler. Nun wurde Jakob Stein recht schnöde von ihr abserviert und er widmet sich nach der Politik seiner zweiten Leidenschaft, der klassischen Musik.

Gallige Erinnerungen an die Böckler, ihre Gefühlsebene auf dem Niveau von gestoßenem Eis und ihren prinzipienlosen Machterhaltungstrieb steigen allerdings immer wieder auf. Um so willkommener stürzt sich Stein nun jedoch in eine Amour fou mit der Star-Dirigentin Maria Bensson, die er bei einem Streifzug durch Salzburg kennenlernt. Jetzt also statt der ebenso skrupellosen wie misstrauischen Kanzlerin ("Sie vertraut nicht mal sich selbst.") die attraktive Taktstock-Herrscherin über ganze Orchester?

"Die Dirigentin" heißt denn auch Wolfgang Herles' Debüt als Belletristikautor und der renommierte Fernsehmann mit jahrzehntelanger Hauptstadterfahrung verschleiert die Bezugspunkte zur Realität bis zur Kenntlichkeit. Doch zunächst geht es vorrangig um Steins Annäherung an die aufstrebende Orchesterleiterin. Hatte Stein allen Ernstes bis zu seinem persönlichen Erleben an zentraler Stelle im Bundeskanzleramt geglaubt, praktische Politik werde von Vernunft gesteuert, lenkt er nun seine heftig wachsenden Emotionen auf die ziemlich unnahbare Meisterin mit dem Tigerlächeln.

Es gelingt eine Annäherung, doch wie bei Ex-Ehefrau Beate und Ex-Chefin Böckler fehlt ihm auch hier das Gespür fürs andere Geschlecht und noch mehr das für eine sehr eigenwillige ambitionierte Künstlerin. Er reist ihr nach, wird Dauergast bei den Proben zu Wagners "Rheingold" in Berlin und begreift nicht, dass er mit seinen 56 Jahren mehr und mehr zum Stalker für die Dame wird. Ganz abgesehen davon, dass gänzlich anderweitige zwischenmenschliche Interessen eingeflochten sind.

Dennoch scheint seine Chance zu kommen, als er von einer gefährlichen Entwicklung der mit Spannung erwarteten Inszenierung erfährt - der Regisseur will allen Ernstes den Wotan als Mohammed auftreten lassen! Wie Stein sich ungefragt mit seinen alten Beziehungen als großer Retter und Bewahrer der Angebeteten einbringt, das überschreitet das Tragikomische bis ins Peinliche. Da sei vom Finale nur noch verraten, dass die Polit-Dirigentin und die gleichermaßen rabiat ehrgeizige Bensson einander nicht nur viel ähnlicher sind, als Stein in kühnsten Befürchtungen ahnt.

Der Autor hat hier ziemlich narzisstisch viel Insiderwissen einfließen lassen und an sich hätte dieser Roman eine bitterböse Satire werden können - hätte er der endlosen Kulturhuberei mit viel Bildung und Geist auch ein gerüttelt Maß an Esprit untergemengt. Die Roman-Idee ist gleichwohl gut und im zuweilen zähen Brei der Wissensausbreitung finden sich funkelnde Sätze mit entlarvenden Seitenhieben. Schließlich betont Herles in seiner Danksagung nicht umsonst: "Ähnlichkeiten mit wahren Personen und Begebenheiten sind unvermeidlich."

 

# Wolfgang Herles: Die Dirigentin; 239 Seiten; S. Fischer Verlag, Frankfurt;

€ 18,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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