RON LESHEM: DER GEHEIME BASAR"

Eine völlig neue Welt tut sich auf für den zwanzigjährigen Kami, als er aus dem verschlafenen Fischernest in der iranischen Provinz zum Studium in die brodelnde Metropole Teheran wechselt. Schon das Umfeld seiner Tante Zahra, einer alt gewordenen Filmdiva, bei der er wohnt, nimmt ihn gefangen. Zusammen mit dem schwulen Beamten Babak und der alten Frau Safureh bilden sie eine verschworene Gemeinschaft, immer misstrauisch beobachtet von Herrn Nadschafian, einer Art Blockwart des Hauses.

Und ihre Erfahrungen stehen nun im Mittelpunkt von Ron Leshems erstaunlichem Roman "Der geheime Basar". Darin eröffnet Karim iesem Trio mit seinem Laptop die Welt und die Freiheiten des Internets. Indem Zahra das Wort „Orgasmus" googelt, Frau Safureh ein Grundstück auf dem Mond erwirbt, „wenige Straßen entfernt von Tina Turner’s Grundstück", und Kami dem schwulen Babakvia per Internet einen feschen Soldaten organisiert, schaffen sie sich ihre kleine geheime Freiheit in der großen Unfreiheit des sonst so rigorosen Gottesstaates Iran.

Rasant wird die Geschichte, als Kami an der Universität auf Nilufar (Nilu) Chalidian trifft, die schon fast so etwas wie einen Prominentenstatus hat. Die Tochter eines hohen Regierungsbeamten fährt Ferrari und ist als angehende weibliche Rennfahrerin an der Uni und im islamisch sittenstrengen Iran eine absolute Ausnahmeerscheinung. Und ausgerechnet sie verliebt sich prompt in den jungen Kami.

Sie zeigt ihm den wirklichen „geheimen Basar." Alles scheint möglich unter der Oberfläche des streng nach islamischem Recht geregelten Alltags der Hauptstadt. Ausgelassene Partys, Sex, Drogen, alles scheint selbstverständlich, wenn man sich nur in den richtigen Kreises bewegt. Für jede denkbare Vergnügung gibt es auch den passenden Schwarzmarkt. Und Nilu zeigt ihm all das. Gleichzeitig wird sie die erste große Liebe seines jungen Lebens und er genießt es, mit ihr die Tiefen dieser illegalen Unterwelt zu erkunden und auch das, was sich ihm als Freiheit darstellt.

Dass diese bigotte Doppelmoral durchaus Methode hat, erklärt Nilu ihm: „Du brauchst keine Angst vor der Regierung zu haben. Sie verschließen lieber die Augen, schließlich ist das nur eine Jugendrevolte, oder nicht? Ein bisschen Sex, Alkohol und Drogen, das kann der Revolution nicht schaden. Der Staat zieht es vor, wegzuschauen, still und leise auf uns zu warten und darauf zu bauen, dass wir uns irgendwie, wenn wir um die dreißig sind, zerstreuen, mit Heirat, Kinder Karriere, und der Drang zum Aufruhr abstirbt, die Gefahr einer Revolution vorübergeht."

Wie sehr Kami sich schon in das brodelnde Leben der Hauptstadt eingelassen hat, wird deutlich, als er seinen Jugendfreund Amir wiedertrifft. Der hat sich kurz vor der von Beiden geplanten Abreise entschieden, in dem Fischerdorf zu bleiben und sich stärker der Religion zuzuwenden. Schon nach wenigen Monaten ist der Graben zwischen den beiden Freunden fast unüberwindbar.

Doch das scheinbar perfekte Leben währt nicht lange. Als Babak plötzlich verschwindet, versucht Kami Nachforschungen anzustellen. Das einzige, was er herausfinden kann, ist die Information, dass „Homosexuelle manchmal ganz plötzlich verschwinden." In einen völligen Schock wird er versetzt, als auch Nilu ins Visier der Staatsmacht gerät und das mit dem Leben bezahlt. „Wir lebten weiter", lautet der erste lapidare Satz nach diesem Ereignis.

Eine grandiose ebenso hoffnungsvolle wie hoffnungslose Liebesgeschichte, sensibel und feinfühlig erzählt, ist dieses Buch allemal. Besonders in dem Kapitel, in dem Nilu ums Leben kommt, gelingt es Leshem, den Schock des Ich–Erzählers unmittelbar auf den Leser zu übertragen. Man liest das Kapitel ein zweites Mal und kann es immer noch nicht fassen.

Darüber hinaus gibt der Roman einen Blick frei in eine islamische Gesellschaft, die nur an der Oberfläche scheinbar ruhig ist. Wenige Monate nach seiner Fertigstellung brach im Juni 2009 im Iran die ‚Grüne Revolution’ aus. Mit den Revolutionen in den nordafrikanischen Staaten des Jahres 2011 bekommt das Buch noch einmal brennende Aktualität, zeigt es doch gesellschaftliche Widersprüche und Hintergründe auf, die sich mühelos auf die Gesellschaften anderer islamischer Staaten übertragen lassen und ein weiteres Indiz dafür sind, dass es sich nicht um Einzelphänomene handelt, sondern dass die gesamte islamische Welt vor großen Umbrüchen steht.

Warum mit Ron Leshem ausgerechnet ein Israeli diesen Roman geschrieben hat, erschließt sich wohl nur aus der persönlichen Bekanntschaft mit Iranern, die er zunächst über das Internet gesucht und später weiter ausgebaut hat. „Als ich begriff, dass die Ähnlichkeit die Verschiedenheit bei weitem übertraf, senkte sich eine dunkle, quälende Wolke über mich, die jedoch immer wieder auch von Lichtstrahlen und Hoffnung durchbrochen war, je nachdem, was ich sehen wollte", schreibt er in seinem Nachwort.

 

# Ron Leshem: Der geheime Basar (aus dem Hebräischen von Barbara Linner); 445 Seiten; Rowohlt Verlag, Berlin; € 22,95

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