WLADIMIR MAKANIN: "BENZINKÖNIG"

„Keinerlei Korruption. Einfach nur Chaos! Schlamperei! Kein Diebstahl, sondern Raub. (Korruption bedeutet bereits ein gewisses Niveau. Ist schon eine gewisse Kultur- wie einer der Stabsgeneräle einmal vor aller Ohren sagte.)" Das ist die Reaktion des Major Schilin auf das Verschwinden eines kompletten Benzintransports. Seine Empörung ist echt, denn er ist der Benzinkönig, Leiter eines Benzinlagers bei Grosny in Tschetschenien. Als „Das wahre Gesicht des Tschetschenien–Kriegs" ist Wladimir Makanins Roman „Benzinkönig" bezeichnet worden.

Mit der Figur des Major Schilin schildert der Autor emotionslos und nüchtern die Gesetze und Regeln dieses Krieges. Schilin hat sich als Leiter des Benzinlagers eingerichtet. Er bestimmt, wer welche Menge Sprit bekommt und wer nichts bekommt. Dabei spielt es keine Rolle, ob er die eigenen Leute oder den Gegner beliefert, entscheidend ist, dass die Kräfte im Gleichgewicht bleiben und er die Situation beherrscht.

Dabei hat er in dieser chaotischen Situation durchaus seine eigenen Grundsätze entwickelt. Einer davon ist, dass jedes zehnte Fass Benzin ihm gehört. Vom Erlös baut er für sich und seine Familie in der fernen Heimat eine Datsche am Fluss. Ein weiterer Grundsatz ist: Beweg dich nie zu schnell, die „Tschitschen" schießen auf alles, was sich zu schnell bewegt.

Dieser Grundsatz gilt nicht nur im wörtlichen Sinne. Auch Schilins Handeln ist davon bestimmt: Sein „Business" ist das Benzin und das betreibt er mit Umsicht und ohne sich „zu schnell zu bewegen". Er baut sich eine eigene Ordnung in diesem Bereich, die eine gewisse Stabilität in das Chaos und die Unberechenbarkeit dieses Kriegs ohne Frontlinien bringt. Er nutzt durchaus seine Stellung und das „Vertrauen", das auch die Tschetschenen ihm entgegenbringen, um in Gefangenschaft geratene Soldaten frei zu kaufen und sie ihren Müttern zurück zu geben.

Auch zweier im Gefecht traumatisierter Soldaten nimmt sich Schilin an, beschäftigt sie und versucht, sie zu ihrer Einheit zurück zu bringen. Am Beispiel dieser beiden Soldaten wird mehr als deutlich, was der Krieg mit der Psyche eines Menschen anrichtet. In zahlreichen Beschreibungen von Überfällen auf Transporte schildert Makanin detailreich und in der ihm eigenen emotionslosen Sachlichkeit das wahre Gesicht des Krieges.

So etwas wie Ironie scheint lediglich bei der Beschreibung der höheren Offiziere in den Stäben der russischen Armee durch. Da ist die Rede von einem General Blablahin – wegen dessen pathetischer Reden – oder von einem General Nix – wegen dessen vollständig fehlender Kompetenz für irgendetwas. Letztlich schafft dieser Krieg Gesetzmäßigkeiten, denen auch der Benzinkönig Major Schilin nur für einen begrenzten Zeitraum sein kleines Universum von Geben und Nehmen, einer verlässlichen Ordnung im Chaos und eines Ansatzes von Zivilisation entgegenstellen kann. Auch er, der glaubte, das Geschehen zu beherrschen, wird schließlich zum Opfer.

Erzählerisch nüchtern, schnörkellos und ohne Pathos liefert Makanin eine kenntnisreiche Innenansicht eines Krieges, der – wie auch andere „moderne Kriege" – nicht gewonnen werden kann. Scharf analysiert er, was Krieg mit Menschen macht, lässt zugleich dem Leser genug Freiheit, seine eigenen Schlüsse zu ziehen. Ein lesenswertes Buch, das ausnahmsweise einmal mehr sagt, als tausend Bilder in den Magazinen und Zeitschriften.

Wladimir Makanin, Jahrgang 1937, gilt schon als „Klassiker" unter den russischen Schriftstellern. Mit „Underground" (2005), „Der kaukasische Gefangene" (2005) und „Der Schreck des Satyr beim Anblick der Nymphe" (2008) hat er sich auch in Deutschland längst einen Namen gemacht.

 

# Wladimir Makanin: Benzinkönig (aus dem Russischen von Annelore Nitschke); 479 Seiten; Luchterhand Literaturverlag, München; € 22,99

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