PETER-FERDINAND KOCH: "ENTTARNT"

Karl Josef Silberbauer war der für seine Verhörmethoden gefürchtete SS-Mann, der damals auch die 14-jährige Anne Frank verhaftete und mitverantwortlich für ihren Tod im KZ war. Dass dieser Österreicher nach dem Krieg nicht nur für die Wiener Polizei sondern auch für den deutschen Geheimdienst tätig war, ist bei all den teils atemberaubenden Enthüllungen in Peter-Ferdinand Kochs Buch "Enttarnt" fast schon ein Schmankerl am Rande.

"Doppelagenten: Namen, Fakten, Beweise" hat der versierte langjährige SPIEGEL-Redakteur seinen akribischen Bericht untertitelt und darin unter anderem 47 Doppelagenten aufgedeckt sowie weitere 39 aufgeführt, die in diesem Verdacht stehen. Sogenannte Maulwürfe sind das Schlimmste, was einem Geheimdienst passieren kann. Wird einer entdeckt, kann sich der Dienst im günstigsten Fall neu formieren. Bleibt ein Doppelagent jedoch unentdeckt, lässt er die Arbeit seines Dienstes ins Leere laufen und macht ihn dadurch im schlimmsten Fall zu einem gefährlichen Schädling.

Es liest sich abenteuerlich, in welchem Ausmaß die Sowjets sowohl Himmlers Reichssicherheitshauptamt (RSHA) wie auch die Abwehr von Wilhelm Canaris unterwanderten und es ihnen während des Krieges reihenweise gelang, hohe SS-Chargen in ihre Dienste zu locken bzw. zu zwingen. Das sollte sich für die Sowjets in der Nachkriegszeit als sehr fruchtbar erweisen, denn als Wehrmachtsgeneral Reinhard Gehlen wegen seines wertvollen Wissens über die Sowjetunion als Leiter der Abteilung "Fremde Heere Ost" noch vor Kriegsende von der US-Besatzungsmacht zum Aufbau eines westdeutschen Spionagedienstes veranlasst wurde, scharte er bevorzugt alte Kameraden um sich.

Die "Organisation Gehlen", aus der später der Bundesnachrichtendienst (BND) - die ominösen "Schlapphüte" aus Pullach bei München - wurde, geriet somit zu einem Sammelbecken hoher und höchster SS-Schergen. Was sie einte, waren Antikommunismus und Osterfahrung, und ihr Aufbau beruhte auf viel Strippenzieherei und Familienbanden, wobei Adelsprädikate ein stets gern gesehenes Einstiegsmerkmal waren. Zugleich war diese Geheimbündelei ein ideales Einfallstor für Maulwürfe, die ebenso NS-Kriegsverbrecher wie Ost-Agenten waren.

Manche wurden aktiv wie der berühmt-berüchtigte Heinz Felfe, manche waren Quellen der "Abschöpfung" seitens KGB und Stasi. Dabei unterliefen den Pullachern teils massive Fehler allein aus der schieren Borniertheit gegenüber den Ost-Geheimdiensten heraus, wenn Mitarbeiter gedeckelt wurden, die einen Verdacht hegten, ein Mann wie Felfe dagegen bis zuletzt den Schutz Gehlens genoss. Fazit ist jedenfalls, dass es wahre Maulwurfshügel in den westdeutschen Geheimdiensten gab.

Die intensiven Recherchen Kochs, der seinerzeit bereits Mitverfasser der SPIEGEL-Serie "Pullach intern" war und nun außer CIA- und BND-Akten vor allem auch das geheime Tagebuch des ehemaligen BND-Vizepräsidenten Dieter Blötz auswerten konnte, werfen nämlich auch auf die anderen westdeutschen Dienste ein wenig schmeichelhaftes Licht. Vor allem das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) wird da als Gurkentruppe entlarvt, die mit ihrem teils unfassbar dilettantischen Gebaren oft mehr Schaden anrichtete als Nutzen - wobei auch dieser marginal bis fragwürdig blieb.

Wenn dann Porsche-Fahrer Eckart Werthebach als BfV-Präsident forsch die Publicity-Maschien anwirft, andererseits bei hohem Mitteleinsatz aber weniger an Information dabei herauskommt, als zum Beispiel in SPIEGEL oder FOCUS nachzulesen ist, dann ist das ärgerlich. Übel aber wird es nicht nur wegen mancher Knallchargen in hohen Rängen, die in den Osten überliefen, sondern wenn frühe Erkenntnisse in den 80er Jahren über den aufkommenden Terrorismus unbeachtet verhallten.

Koch deckt allerdings noch einiges quasi am Rande auf wie die schändliche Rolle der Schweiz bei der Judenverfolgung - es waren hohe helvetische Beamte, die zur Abwehr jüdischer Asylanten die Nazis dazu bewogen, Pässe von Juden mit dem entlarvenden "J" zu versehen. Ungleich krasser und in diesem Ausmaß sicher für viele eine fast unglaubliche Überraschung ist, was der Autor über seinen langjährigen Arbeitgeber aufdeckt - das "Sturmgeschütz der Demokratie", zu dem Rudolf Augstein den SPIEGEL verdienstvollerweise seit 1947 aufgebaut hat, war in den ersten Jahrzehnten in Wirklichkeit gewissermaßen nazi-verseucht.

Horst Mahnke und Georg Wolff waren beide als hohe SS-Offiziere Mitarbeiter des berüchtigten Reinhard Heydrich. Mahnke erwuchs zu einer Säule des aufstrebenden Magazins und schaffte es bis zum Ressortleiter, während es der einst glühende Nationalsozialist Wolff sogar zum Auslands-Chef und stellvertretenden Chefredakteur des SPIEGEL bracht. Und Insider Koch zählt weitere ehemalige SS-ler auf, die als Mitarbeiter oder Zuträger für Augstein arbeiteten, wobei selbst ausgewiesene Kriegsverbrecher wie ein Franz Alfred Six zum Zuge kamen.

Fazit: ein in Teilen hochspannendes Buch mit schier unfassbaren Erkenntnissen von der bundesrepublikanischen Wirklichkeit. Ganz nebenher bietet es im Übrigen "echten" Stoff für dutzende von Romanen und Filmen.

 

# Peter-Ferdinand Koch: Enttarnt. Doppelagenten: Namen, Fakten, Beweise; 468 Seiten, div. Abb.; Ecowin Verlag, Salzburg;

€ 24,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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