LOUISE ERDRICH: "SCHATTENFANGEN"

Gil LaRose und die 13 Jahre jüngere Irene sind ein attraktives Paar, sie haben drei Kinder, die Freude machen, und auch wirtschaftlich geht es ihnen gut. Eine ideale Familie in den Augen der Anderen, in Wirklichkeit aber ist die Ehe längst zerbrochen und wird durch ein heftiges Ringen miteinander wie auch durch viel Alkohol zur zerstörerischen Qual.

Doch dies ist lediglich die Disposition zu "Schattenfangen", dem neuen Roman von Louise Erdrich, der US-Erfolgsautorin mit den indianischen und deutschen Vorfahren. Auch Gil und Irene sind Halb-Indianer und während Irene ihr Studium der Kunstgeschichte wegen der Kinder abgebrochen hat, gelang Gil durch seine ebenso schöne wie sinnliche Frau eine Erfolgsgeschichte als Maler. War er zunächst mit seinen indianischen Motiven in die Schublade als typischer Genre-Maler abgeschoben worden, schaffte er mit seinen genialen Bildern von "Irene America" den großen Durchbruch.

Längst fühlt sich Irene jedoch von ihm als Muse ausgebeutet, geradezu ausgesaugt, und empfindet seine besitzergreifende Unmittelbarkeit, als setze er "seinen Fuß auf ihren Schatten". In der auch in diesem Roman bedeutsamen indianischen Vorstellungswelt gilt das als eine Bemächtigung der Seele des Anderen. Aber Irene will mehr als nur weg von immer neuen Sitzungen für seine grandiosen Gemälde von und mit ihr, die teils so radikal intim bis obszön sind, dass es sie zutiefst verletzt und beschämt.

Und in diesem Ringen, von ihm loszukommen, begeht er einen für sie unverzeihlichen Frevel: er liest heimlich in ihrem versteckten roten Tagebuch. Was nun einsetzt, ist eine Spirale in den Irrsinnskreis der Obsessionen, denn Irene beginnt einen infamen Rachefeldzug, indem sie dieses Tagebuch mit raffinierten Lügen und Erotikmärchen vergiftet. Ihre wahren Gedanken und Gefühle vertraut sie einem neuen blauen Buch an, dass sie in einem Bankschließfach sichert.

Erlösung ist der für ihre Romane voller Dramatik und dichter Athmosphäre berühmten Autorin ein Fremdwort und so entspinnen sich gallig böse Dialoge aber auch hitzige sinnliche Momente. In einem solchen Ringen kann es keine Sieger geben, Irene aber serviert Gil in ihrer ohnmächtigen Hassliebe Höllenqualen vorgegaukelter Wahrheiten, die zerstörerische Zweifel säen.

Das wartet bis zuletzt mit ebenso grandiosen wie atemberaubenden Szenen auf und gekrönt wird dieser meisterhafte Psychothriller durch den einzigartigen Sprachzauber der Prosa, den auch die hervorragende Übertragung ins Deutsche erhalten hat. Fazit: ein tief unter die Haut gehendes indianisches Liebesdrama in geradezu griechischer Tragödientradition.

 

# Louise Erdrich:Schattenfangen (aus dem Amerikanischen von Chris Hirte); 239 Seiten; Suhrkamp Verlag. Berlin; € 17,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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