GYÖRGY DALOS: "GORBATSCHOW. MENSCH UND MACHT"

"Der Oberste Kommunist als Held der freien Welt - so etwas kann nur die Geschichte auf die Bühne bringen". So lautet das Resümee von György Dalos am Schluss seiner Biographie zu Michael Gorbatschow, die pünktlich zu dessen 80. Geburtstag am 2. März 2011 erschienen ist.

"Gobrbatschow. Mensch und Macht" lautete der Titel, doch es ist eher ein politisch-historischer Lebensbericht als eine klassische Biographie, die der langjährige ungarische Oppositionelle verfasst hat. Zum Auftakt schildert er darin den dramatischen Akt, als hochrangige Funktionäre den Präsidenten samt Familie am 18. August 1991 in der Ferienvilla auf der Krim für etliche Tage festsetzten.

Dann jedoch widmet sich der Autor auf der Grundlage intensiver Recherchen zunächst den 70er Jahren der Sowjetunion, als der eher unauffällige Parteifunktionär Gorbatschow in die zweithöchste Rangebene aufsteigt. Was ihn bereits damals gegenüber seinesgleichen auszeichnete, ist die Fähigkeit zu eigenständigem Denken. Spannende Einblicke folgen in das System und der Vergreisung der Nomenklatura. Als Gorbatschow 1985 an die Macht kommt, endet damit eine Zeit der Depression mit siechen Kreml-Herrschern vom späten Breschnew über Andropow bis Tschernenko.

Aus tiefster Überzeugung beginnt der gerade 54-Jährige mit dem längst überfälligen Versuch, das erstarrte System zu reformieren. Perestroika, Glasnost und Neues Denken wühlen das Sowjet-Imperium auf. Zugleich gibt es auch an den Rändern massive Probleme von der Solidarnosz-Bewegung in Polen über den fatalen Afghanistan-Einsatz bis hin zur massiven Verschuldung der Warschauer Pakt-Staaten im Westen.

Tatsächlich schafft der gewiefte Kommunikator außenpolitisch wichtige Schritte Richtung Entspannung, während daheim der Demokratisierungsprozess erste pluralistische Strukturen schafft, aber bei den ersten relativ freien Wahlen 1989 auch viele Altgediente die Ämter kostet. Und dieses Schicksalsjahr besiegelt dann auch die fast durchweg unblutige Revolutionen in den sozialistischen Ländern.

In den überaus lebendigen Darstellungen der Geschehnisse und ihrer Hintergründe wird erstaunlich deutlich, wie für Gorbatschow den Mauerfall und das Ende der DDR einkalkuliert hat. Doch der friedliche Zerfall des Ostblocks machte diesen verantwortungsbewussten Machtpolitiker nur im Westen zur noch heute verehrten Ikone, während ihm in der Heimat der Ruf des Verräters und Liquidators der Sowjetunion anhaftet.

Es ist die Tragik dieses großen Staatsmannes, der in nicht einmal sieben Jahren die Welt grundlegend veränderte und wie kein anderer den Friedensnobelpreis verdient hat, dass er auf schmähliche Weise am 8. Dezember 1991 bei einer Nacht-und-Nebel-Aktion in einem Nationalpark an der polnischen Grenze per Beschluss zwischen Russland, Weißrussland und der Ukraine seines Staates verlustig ging, als die UdSSR aufgelöst und die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) gegründet wurde.

Mit Gorbatschows Abschiedsrede als Präsident endete am 25. Dezember 1991 die Sowjetunion und am Kremlturm ersetzte die russische Trikolore die rote Sowjetflagge. Auch der Weg dahin ist fesselnde Geschichtslektüre über eine Epoche, die eben erst 20 Jahre her ist und gerade uns Deutschen dank Michael Gorbatschow so kaum Erwartetes bescherte.

 

# György Dalos: Gorbatschow. Mensch und Macht; 288 Seiten, div. Abb.; C. H. Beck Verlag, München; € 19,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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