MICHAEL MIERSCH u.a.: "FRÜHER WAR ALLES BESSER"

Man sagt den Deutschen nicht ohne Grund die Neigung zum Pessimismus nach, weshalb sie ja auch immer wieder "die gute alte Zeit" beschwören. Und diese auch entsprechend verklären. Diesem Phänomen haben sich nun die renommierten Journalisten Michael Miersch, Henryk M. Broder, Josef Joffe und Dirk Maxeiner angenommen.

In ihrem Lexikon der guten alten Zeit unter dem Titel "Früher war alles besser" nehmen sie sich die Nachkriegszeit mit Ausläufern bis in die 70er Jahre vor und der Untertitel verkündet ihr Anliegen: "Ein rücksichtsloser Rückblick". Ihre Begriffsdefinitionen von A wie Adenauer bis Z wie Zigarettenspitze spießen liebevoll-ironisch aber zuweilen auch böse bis polemisch Dinge und Zustände auf, die Jüngeren vermutlich mindestens skurril vorkommen, bei denen um 50 und ältere aber viele Erinnerungen geweckt werden dürften.

Mögen Begriffe wie "echter Bohnenkaffee", "Petticoat" oder die Bezeichnung "Fräulein" für jedes dem Kindesalter entwachsene unverheiratete weibliche Wesen noch eher banal erscheinen, so wird manch einer bei der "Ehehygiene" staunen oder mit leichtem Grausen den Kopf schütteln über so viel Spießermief mit ehelichem Sex nur im abgedunkelten Schlafzimmer. Dazu passten dann Miederhöschen - die nicht von ungefähr als Liebestöter geschmäht wurden - oder der unsägliche Schlüpfer.

Während "Hüft- oder Strumpfhalter" einfach nur von den moderneren Strapsen abgelöst wurden, ist für die heutige Generation wohl kaum noch fassbar, dass es bis in die 60er Jahre für Frauen verpönt war, außerhalb von Sportarten wie dem Skilaufen lange Hosen zu tragen. Dazu passte dann auch die allgemein gültige "Sonntagskleidung". Kaum noch vorstellbar dürfte heutigen Zeitgenossen das System der Lohntüte sein: der Arbeitnehmer bekam am Wochen- oder Monatsende seinen Verdienst samt Lohnstreifen in einer Tüte ausgehändigt - immerhin für den ein oder anderen gebeutelten Familienvater die Chance, etwas für sich abzuzwacken.

Gern vergessen haben sicher die meisten, dass Telefone früher eine Wählscheibe hatten und an einem Kabel hingen, während die "Ente" als typisches Studentenauto noch fast zur Nostalgie zählt. Und zur selben Zeit, als sich Millionen brave Bürger in achselschweißtreibenden Nyltest-Hemden (sprich Neiltest!) zwängten, ätzten sie gegen die "Gammler", Mitte der 60er Jahre eine Art Vorläufer der Hippies.

Eines muss man der Zielgruppe 50plus zugute halten, wenn sie die guten alten Zeiten noch heute besser findet: man war jünger! Ansonsten aber denke man bei aller Verklärung nur mal an die Folterszenen beim Zahnarzt in den 50er Jahren und auf die DDR verzichten sicher auch fast alle gern. Die ein oder andere Entwicklung zum Schlechteren hat es allerdings durchaus gegeben, denkt man an Aids, Islamismus oder Dieter Bohlen als TV-Star. Fazit: ein lohnender Rückblick, gewitzt, zum Schmunzeln und erfreulich wertungsfrei.

 

# Michael Miersch u.a.: "Früher war alles besser. Ein rücksichtloser Rückblick; 223 Seiten; Knaus Verlag, München; € 16,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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