S. STEINBACHER: "WIE DER SEX NACH DEUTSCHLAND KAM"

"Wie der Sex nach Deutschland kam. Der Kampf um Sittlichkeit und Anstand in der frühen Bundesrepublik" hat die Historikerin Sybille Steinbacher ihre Habilitationsschrift überschrieben und die wartet mit einigen Überraschungen auf in diesem bisher wenig beleuchteten Bereich der Politik- und Gesellschaftsgeschichte.

Wer da immer gedacht hatte, die sogenannte sexuelle Revolution sei quasi eine Folge der wilden 60er Jahre gewesen, tut der Generation der Wirtschaftswunder-Ära unrecht. Zwar kämpften konservative und insbesondere katholische Kreise in der Nachkriegszeit mit dem Kampfbegriff von "Schmutz und Schund" gegen jegliche freie Entfaltung von Sexualität, doch sie hatten einen schweren Stand und verloren eine Schlacht um die andere.

Man denke nur an den wegen einer sekundenlangen Nacktszene mit Hildegard Knef massiv angefeindeten Skandalfilm "Die Sünderin" von 1950, der gerade durch den schrillen Aufschrei der verklemmten Tugendwächter zu einem Millionenerfolg wurde. Hinzu kamen die "Heftchen" und die Sittenromane, noch mehr aber - bereits während der 50er Jahre! - die Illustrierten, die sich entsprechender Themen mit zunehmender Offenheit annahmen und auf breites Publikumsinteresse stießen.

Drei Namen stehen insbesondere für diese ersten frühen Sexwellen: Alfred Kinsey mit seinen US-Sexreports auf wissenschaftlicher Basis, ab 1947 Beate Uhse mit ihrem Erotik-Versandhandel unter dem hehren Titel "Institut für Ehe-Hygiene" und schließlich der spätere Sex-Papst Oswalt Kolle, der bereits lange vor seinen Aufklärungsfeldzügen der 60er Jahre fleißig erotische "Volksaufklärung" als Illustrierten-Journalist betrieb.

Noch herrschte viel Spießermief der Adenauer-Zeit und der Kuppelei-Paragraph fiel sogar erst in den 70er Jahren, doch die Wirtschaftswunderbürger nahmen sich längst viele Rechte auf freie Selöbstentfaltung in Form von Sex als privatem Freizeitvergnügen. Die Autorin offenbart dabei manch skurrile Begebenheit, vor allem aber die zunehmende Hilflosigkeit der Tugendwächter. Allein Beate Uhse wurde hunderte Male mit Prozessen aus sittlicher Empörung überzogen - durchweg erfolglos. "Die Uhse hat ganz auf Kinseys Botschaften gesetzt", so die Professorin für Zeitgeschichte. So waren es zwar die 60er Jahre, die der heute selbstverständlichen Integration der Sexualität zum Durchbruch verhalfen, gebrodelt hatte es aber längst vorher unter der Oberfläche und den Boden bereitet.

Fazit: ein ebenso aufschlussreiches wie unterhaltsames Sachbuch zur Gesellschaftsgeschichte der Bundesrepublik. Gern hätte man dazu Vergleichendes zum anderen deutschen Staat mit seinem bekanntlich weniger konservativ-klerikal geprägten Sittenkodex gelesen.

 

# Sybille Steinbacher: Wie der Sex nach Deutschland kam. Der Kampf um Sittlichkeit und Anstand in der fürhen Bundesrepublik; 576 Seiten; Siedler Verlag, München; € 28

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

Dieses Buch bei Amazon.de bestellen.


Kennziffer: SB 286 - © Wolfgang A. Niemann - www.Buchrezensionen-Online.de