HENRIK BERGGREN: "OLOF PALME"

25 Jahre ist es jetzt her, dass Olof Palme mitten in Stockholm ermordet wurde und dieses bis heute nicht aufgeklärte Attentat verstellt leicht den Blick auf diesen Ministerpräsidenten eines eher randständigen Landes. Wer war dieser Mann, der vom Aristokraten zum Sozialisten wurde und vom jungen Offizier zum Friedensstreiter, der als Antikommunist Fidel Castro umarmte und als Freund der USA nicht davor zurückschreckte, deren Regierung so vors Schienbein zu treten, dass es diplomatische Verstimmungen gab?

Der schwedische Historiker und Journalist Henrik Berggren versucht in seiner Biographie "Olof Palme - Vor uns liegen wudnerbare Tage" ein Porträt zu zeichnen, das die Persönlichkeit dieses in vielem so widersprüchlichen Menschen in ein möglichst realistisches Licht rückt. Palme wurde am 30. Januar 1927 in eine konservativ-großbürgerliche Familie geboren und es dient als gute Grundlage zum weiteren Verständnis, dass der Autor auch die Vorgeschichte der Familie seit Schwedens Aufbruch in moderne Zeiten ab etwa 1850 beleuchtet.

Schon zur Schulzeit galt Sven Olof Joachim Palme als sprachbegabtes und lesewütiges Wunderkind. Nach einer kurzen Laufbahn als Offizier und freier Journalist erfährt er die wohl entscheidende Neuorientierung seines Lebens mit Anfang 20 als Student in den USA. Hier beeindruckt ihn der Wahlkampf Harry S. Trumans, aber auch die Wirtschaftsfragen und sozialdemokratische Ideen fesseln ihn. Hat der scharfzüngige Palme nicht zuletzt dank seiner elitären Erziehung eine Aversion gegen das selbsternannte Volksnahe, durchzieht sein politisches Leben gleichwohl ein regelrechtes Egalitätspathos als Gegner aller Formen menschlicher Unterordnung.

Der große alte Mann der Sozialdemokraten, der langjährige Ministerpräsident Tage Erlander, setzt auf Palme und der wird 1958 Reichstagsabgeordneter, später Bildungsminister und schließlich 1969 bis 1976 Regierungschef. Schon zuvor gewann der charismatische Visionär hohe Popularität mit seinen Ideen für wegweisende familienpolitische Reformen. Ob Gleichberechtigung der Frauen, ob Betreuungsplätze für Kinder oder die Aufhebung des Ehegattensplitting und vieles mehr - Palme veränderte sein Land grundlegend und machte es für lange Zeit und für viele andere Staaten zum Modell.

"Das Ideal der Demokratie sind selbständige und gleichberechtigte Bürger", so einer seiner wichtigsten Grundsätze. Als Demokrat mit sozialem Gewissen war er ein Visionär und Vollblutpolitiker wie sein Freund Willy Brandt. Doch Palme war auch Pragmatiker, der selbst eine gewisse Verschlagenheit im Alltagsgeschäft nicht scheute. Ohnehin galt er zwar als charismatisch, redegewandt und charmant, war aber zugleich schwierig im Umgang und konnte Kritik nicht gut vertragen.

Er rief immer wieder Bewunderung hervor, während er auf der anderen Seite auch polarisierte. Oder bewusst provozierte wie im Dezember 1972, als er die Massenbombardements der USA gegen Nord-Vietnam auf eine Stufe mit den Holocaust-Gräueln von Treblinka stellte. Was prompt zu massiven diplomatischen Verstimmungen führte. Aber auch sonst wirkte der schmchtige Workaholic weit über Schweden hinaus, versuchte sich als Friedensstifter mit hohem moralischen Anspruch.

Olof Palme war ein Sinnbild für die Widersprüche seiner Zeit und es ist das große Verdienst des Biographen, dass er zugleich einen großartigen Einblick in die gesellschaftlichen Verhältnisse in Schweden sowie die Weltpolitik zur Zeit des Kalten Krieges gibt. Dies um so mehr. als er hier einen Blickwinkel gewissermaßen vom geopolitischen Rand her auf das Weltgeschehen eröffnet. Ebenso verdienstvoll ist es, dass sich Berggren umfassend dem gesamten Leben Palmes bis zu jenem fatalen 28. Februar 1986 widmet und lediglich als eine Art Abspann umreißt, wie der seit drei Jahren wieder amtierende Ministerpräsident umkommt.

Das Alles ist höchst lebendig geschrieben und die exzellenten Recherchen umfasssten auch Interviews mit Familienmitgliedern und anderen Zeitzeugen. Fazit: eine großartige Biographie zu einer der ganz großen politischen Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts, die zudem viel fast Vergessenes über die Zeitumstände wieder ins Gedächtnis ruft.

 

# Henrik Berggren: Olof Palme - Vor uns liegen wunderbare Tage (aus dem Schwedischen von Paul Berf und Susanne Dahmann); 719 Seiten, div. Abb.; btb Verlag, München; € 26,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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