MASSIMO CIANCIMINO: "DON VITO"

Wer in Palermo in seinem Briefkasten ein Kuvert findet mit einer Kalaschnkow – Patrone, weiß, was diese Botschaft bedeutet. Im Sommer 2010 erhielt Massimo Ciancimino diese Botschaft. Adressiert war sie an seinen fünfjährigen Sohn Vito Andrea. Ausgelöst hatte Massimo Ciamcimino diesen Brief selbst. Mit seinem Buch „Don Vito - Mein Vater, der Pate von Palermo" gibt er dem Leser aus der Perspektive des Insiders und Sohn eines massiv in die Aktivitäten der sizilianischen Mafia verstrickten Politikers tiefe Einblicke in die Aktivitäten und die Strukturen des Systems Mafia in Italien von den fünfziger Jahren an bis in die Gegenwart, soweit er es selbst erlebt hat.

Zusammen mit dem Journalisten Francesco La Licata und bestätigt durch seinen Bruder Giovanni liefert Ciancimino einen Bericht ab, der sich nur in einem Punkt von Francis Ford Coppolas Film ‚Der Pate’ unterscheidet: Die Vorgänge, die hier beschrieben sind wirklich geschehen. „Cincincimino stammte aus Corleone, er war fünf Jahre lang Baustadtrat von Palermo, zwei Monate lang sogar Oberhaupt der Stadt. Er war Christdemokrat und er war der erste Bürgermeister Italiens, der ausdrücklich als Mafia Mitglied verurteilt wurde.

In seiner Amtszeit hatte Ciancimino insgesamt 4000 Bauanträge genehmigt. 2000 davon waren von drei Rentnern eingereicht worden. Damit hatte Ciancimino die Stadt zerstört", beschreibt die Zeitung ‚Die Welt’ anlässlich seines Todes 2002 lapidar sein Wirken. Unzählige weitere Aktivitäten, Geschäfte und Verbrechen der ‚Ehrenwerten Gesellschaft’ schildern die beiden Söhne Don Vitos in dem Buch. Bleibt vieles von den einzelnen Aktionen für den deutschen Leser auch eher unverständlich, weil die handelnden Personen hier nicht bekannt sind, wird dahinter das System Mafia um so deutlicher.

Nach außen hin ehrenwert, dringt das System Mafia hinter den Kulissen in alle Bereiche der Gesellschaft, der Politik und der Wirtschaft ein und versucht sie zu beherrschen. Und es geht um Profite auf Kosten der Gesellschaft. Wie weit dieses System geht, zeigte sich Anfang der neunziger Jahre, als es im Zusammenhang mit den Ermittlungen der Staatsanwälte Paolo Borsellino und Giovanni Falcone, die beide von der Mafia ermordet wurde, zu einem regelrechten Krieg zwischen der Mafia und dem Staat kam.

Sogar zu regelrechten Verhandlungen zwischen dem italienischen Staat und der Mafia sei es in dem Zusammenhang gekommen, um diesen Zustand zu beenden, behauptet Ciancimino zumindest und belegt es mit einem Dokument, dem „Papello", das die Forderungen der Mafia enthielt. Bis in die höchsten Spitzen der Italienischen Christdemokraten reichte der Arm der Mafia und Don Vito war in diesem Zusammenspiel ein wichtiges Bindeglied. Selbst Berlusconis Partei ‚Forza Italia’ sei mit Hilfe der Mafia gegründet worden, wird hier glaubhaft versichert.

Offen lässt Ciancimino allerdings die Frage, was ihn eigentlich dazu bewogen hat, so rückhaltlos ‚auszupacken’ und sich damit ohne Not in Gefahr zu begeben. Darüber lässt sich trefflich spekulieren. Soll mit diesen Ansichten aus dem Innenleben der Mafia die heutige politische Kaste unter Druck gesetzt werden, nach dem Motto: Wir wissen viel und wir wissen auch viel über euch? Eine Erleichterung des eigenen Gewissens nimmt man dem Sohn des Don Vito jedenfalls nicht ab.

Aber auch wenn Cianciminos Ausführungen sicher nicht alles preisgeben, so bieten sie doch Einblicke ins Innere der Mafia und zeigen, wie das System funktioniert. Erschreckend ist dabei, dass dieses System nicht einmal viel Intelligenz bei den Protagonisten voraussetzt und eigentlich jede Gesellschaft befallen kann. Wenn die Mafia als Krebsgeschwür bezeichnet wird, kann man in diesem Buch nachlesen, wie gefährlich diese gesellschaftliche Krankheit wirklich ist.

 

# Massimo Ciancimino (mit Francesco La Licata): Don Vito – Mein Vater, der Pate von Palermo (aus dem Italienischen von Enrico Heinemann und Ines Klöhn); 365 Seiten, div. Abb.; Piper Verlag, München; € 19,95

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