TOM RACHMAN: "DIE UNPERFEKTEN"

iM Mittelpunkt von Tom Rachmans Roman „Die Unperfekten" steht die Zeitung. Einen Namen scheint die Zeitung nicht zu haben, er wird jedenfalls nicht genannt. Und auch anderes wirkt merkwürdig. In den fünfziger Jahren von dem amerikanischen Geschäftsmann Cyrus Ott gegründet und betreut, scheint die internationale Tageszeitung zunehmend ein unbeachtetes Eigenleben im Ott–Konzern zu entwickeln. Mehr und mehr dümpelt das Blatt durch die Jahrzehnte der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts, um endlich dem Ende entgegenzuschlingern.

Die Macher dieses Blattes - und eine Leserin - stellt Rachman in den Mittelpunkt seines Romans, wobei man dieses Buch auch als eine Sammlung von eigenständigen Kurzgeschichten sehen könnte. Stilistisch brillant gibt der Autor jeder der handelnden Personen eine eigenständige Geschichte. Wie die Blätter einer Blüte gruppieren sich diese Geschichten um den Mittelpunkt, den Newsroom der Zeitung, und ergeben in ihrer Gesamtheit ein mal ergreifendes, mal auch erheiterndes Bild der Menschen um diese Zeitung herum, das kaum menschliche Schwächen auslässt.

Und der kanadische Autor spielt dabei meisterhaft mit den Klischees, die allem, was mit Journalismus zu tun hat, anhängen. Da ist Arthur Gopal: er ist für Nachrufe zuständig und hat sich ausdrücklich zum Ziel gesetzt, möglichst nichts zu arbeiten. Als er für einen geplanten Nachruf eine todkranke Schriftstellerin interviewt, reißt ihn ein Todesfall in der eigenen Familie aus seiner Lethargie. Groteskerweise beflügelt ihn die eigene Trauer, seine Arbeit wieder aufzunehmen und das befördert sogar noch einmal seine Karriere.

Geradezu slapstickhaft entwickelt sich die Geschichte um Winston Cheung. Der junge Mann hat weder Erfahrung als Journalist noch Talent, als er für die Zeitung als Korrespondent nach Kairo geschickt wird. Hier lässt er sich auf Rich Snyder ein, eine köstliche Parodie auf den klassischen rasenden Reporter, der nicht nur Winstons Unerfahrenheit ausnutzt und ihn mit großen Versprechungen zu allerlei Hilfsdiensten einspannt, sondern außerdem seine Wohnung mit Beschlag belegt, seinen Computer und sein Auto an sich reißt und letztlich verschwindet, ohne auch nur eines seiner Versprechen eingelöst zu haben.

Ebenfalls zauberhaft ist die Geschichte der Ornella de Monterechi, der Leserin der Zeitung. Sie hat offensichtlich nie gelernt, wie man eine Zeitung liest. So ist sie schon ein Jahr, nachdem sie überhaupt angefangen hat, Zeitung zu lesen, sechs Monate im Rückstand. Sie liest die Zeitung wie einen Roman von der ersten bis zur letzten Zeile und braucht für jede Ausgabe mehrere Tage. So hängt sie dann Anfang des neuen Jahrtausends irgendwo im Jahr 1994 fest.

Insgesamt elf solcher Charaktere vom Korrespondenten in Paris, der Reporterin für Wirtschaft und Finanzen, dem Chefkorrektor, der Textredakteurin, dem Nachrichtenchef und der Finanzchefin bis zum Verleger reicht die Palette der Menschen mit Schwächen, kleinen und großen Fehlern, merkwürdigen Charaktereigenschaften, biografischen Brüchen und klischeehaften Zügen, ohne sie aber vollständig unsympathisch werden zu lassen.

Witzig, ironisch, melancholisch und manchmal abschreckend beschreibt Rachman seine Protagonisten. Und er weiß, wovon er schreibt, hat er doch selbst seit 1998 als Redakteur und Auslandskorrespondent für mehrere Nachrichtenagenturen und Zeitungen gearbeitet. Dass er für sein Erstlingswerk einen der höchsten Vorschüsse der letzten zehn Jahre gezahlt bekam, sagt nichts über Qualität aus, spricht aber für sich. Dieses ebenso dunkle wie tänzerisch leichte Debüt setzt jedenfalls der gesamten Branche ein tragikomisches Denkmal.

 

# Tom Rachman: Die Unperfekten (aus dem Englischen von Pieke Biermann); 394 Seiten, Broschur; Deutscher Taschenbuch Verlag, München; € 14,95

ATTO IDE

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