ALIA YUNIS: "FEIGEN IN DETROIT"

Eine Greisin und eine Märchenfee als Figuren eines herzerfrischenden tragikomischen Romans, kann das funktionieren? Ganz und gar, wenn es so intelligent und mit viel Witz aufbereitet wird, wie bei "Feigen in Detroit" von der US-Autorin Alia Yunis.

Im Mittelpunkt steht die 85-jährige Fatima Abdul Aziz Abdullah - wie die Autorin mit libanesischen Wurzeln - die seit drei Jahren bei ihrem Enkel Amir in Los Angeles wohnt. Der Roman beginnt mit der 992. Nacht und das hat seine besondere Bewandnis, denn seit Fatima von Detroit aus hierher zog, erscheint ihr allnächtlich die legendäre Mächenerzählerin Scheherezade. Allerdings ist es die leid, selbst Geschichten vorzutragen, stattdessen muss Fatima ihr welche erzählen, wahre aus ihrem langen bewegten Leben.

Fatima tut wie geheißen, in der festen Überzeugung, dass sie nach der bewussten 1001. Nacht das Zeitliche segnen werde. Zu erzählen gibt es wahrlich eine Menge, denn die zierliche Libanesin mit der Charakternase hatte zwei Ehemänner und zum Clan zählen zehn Kinder, 14 Enkel und zwei Urenkelinnen. Während sie immer neue bunte Geschichten ausbreitet, bleibt sie jedoch tagsüber emsig bemüht, noch viel Unerledigtes zu regeln, bis hin zur quälenden Entscheidung, welches der Kinder denn wohl ihr Haus im Libanon erben soll.

Da ist sie ratlos, denn keinem ihrer Kinder und Kindeskinder konnte sie die Werte und Traditionen ihrer Heimat näherbringen, ja selbst die Kontakte sind eher rar und oberflächlich. Bei der gut 50-jährigen Tochter Leila zum Beispiel geht der Verdruss über den muslimischen Glauben so weit, dass sie den Geistlichen der Moschee in Detroit heimlich beim Bekochen Schweinefleisch untermengt. Tochter Hala wiederum hat durch ihre Heirat ausgerechnet mit einem Chinesen gleich zwei traditionsbewusste Clans verärgert.

Fatimas größte Mühe aber gilt seit ihrem Einzug Enkel Amir, den sie durch immer neue Damenempfehlungen vom Schwulsein zu heilen gedenkt. Der erfolglose Hollywood-Mime leidet nach dem 11. September 2001 ganz besonders, denn ab sofort bietet man ihm nur noch Rollen im Bin-Laden-Look an, was sogar zu kauzigen Verwicklungen mit dem FBI führt. Doch auch Fatima hat ihre Probleme, seit sie Ehemann Ibrahim verließ, denn seit Scheherezades Auftauchen fällt sie wegen der vermeintlichen Selbstgespräche auf, schließlich ist die Märchenfee für alle anderen unsichtbar.

Eines sei jedoch klargestellt: trotz dieser Elemente wird hier kein Märchen erzählt, vielmehr entfaltet sich ein faszinierender Zwiespalt zwischen den Kulturen und innerhalb diesen, der alle Schrägheiten mit viel hintersinnigem Humor und Szenen von geballter Situationskomik entlarvt. Auch ist Fatima durchaus nicht der Typ der charmanten alte Dame, sie kann mit ihren Wiederholungen und dem störrischen Missverstehen ebenso nerven wie mit dem Beharren auf Dingen, die ihren Kindern völlig schnuppe sind.

Dabei verwendet die Autorin einen raffinierten dramaturgischen Kniff, um auch die teils skurrilen Nebenfiguren - abwesende Kinder und dergleichen - hinreißend zu skizzieren, indem sie die Fee auf ihrem Teppich zu ihnen fliegen und dann der Alten berichten lässt. Ob es denn noch rechtzeitig gelingt, sich mit dem Ex-Ehemann zu versöhnen? Und wer bekommt das über 70-jährige Haus - wenn es die Bürgerkriege überhaupt überstanden hat?!

Ist das wirklich wichtig? Die Geschichten sind es, die hier so lebendig, so lebensnah und so zutiefst menschlich gesponnen werden über Familienbande und über Gegensätze, die nicht wirklich zählen. Fazit: ein grandioser berührender Roman, dabei spannend, voller Fantasie und weisem Witz.

 

 

# Alia Yunis: Feigen in Detroit (aus dem Amerikanischen von Nadine Püschel & Max Stadler); 473 Seiten; Aufbau-Verlag, Berlin;

€ 19,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

Dieses Buch bei Amazon.de bestellen. 


Kennziffer: BEL 746 - © Wolfgang A. Niemann - www.Buchrezensionen-Online.de