FREDERICK FORSYTH: „COBRA"

Als bei einem Dinner im Weißen Haus eine Serviererin in Tränen ausbricht, wird sie sofort außer Reichweite gebracht. Die First Lady jedoch fragt nach und erfährt, dass der einzige Enkel der Frau soeben mit 15 Jahren an einer Überdosis Kokain gestorben ist. Die hohe Dame führt noch am selben Abend ein folgenreiches Gespräch mit dem Präsidenten, in dessen Kennzeichnung unschwer der aktuelle Amtsinhaber zu erkennen ist.

Unverzüglich lässt er sich über den Sachstand der Drogenkriminlalität unterrichten und stellt dann die Frage, ob es möglich sei, die Kokain-Industrie in Kolumbien zu zerschlagen. Der Chef der DEA kann sich nur einen vorstellen, der dafür Mittel und Wege wüsste: Paul Devereaux, wegen seiner kalten Aggressivität auch „die Cobra" genannt, Ex-Agent der CIA, geschasst, weil er zu rabiat mit den Feinden umging. Ihn ruft der wild entschlossene Präsident aus dem Ruhestand.

So beginnt „Cobra", der neueste Thriller von Frederick Forsyth, der von der ersten Zeile an fesselt, obwohl er sich insbesondere in der ersten Hälfte eher als Sachbuch darstellt. Der Meister der Spannungsliteratur hat nicht nur exzellent recherchiert, er versteht es auch, all die erstaunlichen und oft genug erschreckenden Fakten über das krakenhafte Netz der Kokain-Händler detailliert und zugleich romanhaft vorwärtstreibend zu verknüpfen. Da herrscht Don Diega Esteban über sämtliche kolumbianische Kartelle und setzt alljährlich rund 500 Tonnen Kokain in den USA und in Europa um. Die Wege, die Folgen, die unvorstellbar reich sprudelnden Gewinne – alles wird akribisch und dennoch höchst lebendig geschildert.

Hier erfährt man, wie raffiniert präparierte Schiffe viele Tonnen Stoff bewegen, wie umgebaute kleine Flugzeuge tonnenweise Stoff in marode westafrikanische Staaten bringen zur Verteilung nach Europa, aber auch das mafiöse und extrem brutale System, um die vielen Helfershelfer auf dem rechten Weg zu halten. All das berichtet Devereaux seinem Präsidenten, erhält den geheimen Auftrag, eine Strategie zur Zerschlagung auszuarbeiten und – der Präsident genehmigt den ebenso genialen wie brachialen Plan der Cobra samt zwei Milliarden Dollar und der geforderten Spezialkräfte.

Der erste Schachzug aber ist eine wichtige Gesetzesänderung per präsidialer Verordnung: ab sofort gelten nicht mehr die Kriminalgesetze, ab sofort werden die Kokainkriminellen als Terroristen behandelt mit weitreichenden Konsequenzen gerade auch bei der Bekämpfung außerhalb der USA. Damit hat die Cobra quasi eine Lizenz zum Töten de luxe einschließlich der nötigen Mittel dazu. Mit Spezialschiffen, die über Drohnen geführt werden, spürt er nun die Kokain-Transporter auf und lässt sie schlichtweg versenken, nachdem man Mannschaften und Stoff einkassiert hat. Gefangene und Beute werden auf eine entlegene Insel verbracht.

Bei den Drogenfliegern gibt es kein Abfangen, für sie hat man einen gewieften brasilianischen Kampfpiloten gefunden, dem es aus triftigen persönlichen Gründen eine Befriedigung ist, die Flugzeuge mit seinem Buccaneer-Jagdbomber vom Himmel zu schießen. Vor Ort schließlich gehen die Agenten der Cobra gemäß einer illegal beschafften „Rattenliste" gegen die korrupten Zöllner in den wichtigsten Häfen vor, die für die markierten Container die glatte Durchfahrt absicherten.

Und es funktioniert: statt der stets einkalkulierten Verluste von 10, 15 Prozent kommen bei den Verteiler-Syndikaten vor Ort gleich tonnenweise die fest einkalkulierten Mengen nicht mehr an. Don Diego tobt und weiß nicht, was da vor sich geht und wer sein Feind ist. Und die Cobra treibt das tödliche Spiel weiter auf die Spitze, bis in den ausgetrockneten Kokain-Absatzgebieten die von ihm aufienander gehetzten Banden einen regelrechten Krieg beginnen, blutrünstiger und verheerender als der aktuelle mexikanische Drogenkrieg.

Mehr mag hier nicht verraten sein von dem aberwitzigen und doch so realistischen Geschehen. Das Finale jedenfalls ist ebenso überraschend wie konsequent und überzeugt gerade deshalb. Atemlos schlägt man das Buch zu, weiß, dass man trotz einiger Schwarzweiß-Malerei bei den guten und den bösen Akteuren einen meisterhaften Thriller gelesen hat. Und man stellt sich unweigerlich die Frage, ob der Zweck wirklich alle Mittel heiligen darf. Man kennt Frederick Forsyth als Hardliner und er lässt keinen Zweifel daran, dass er in diesem Krieg gegen das internationale Drogenverbrechertum ein Zuviel an Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit für ein Erfolgshindernis hält. Fazit: ein hochaktueller aber auch kontroverser Roman, kühl und rasant erzählt.

 

# Frederick Forsyth: Cobra (aus dem Englischen von Rainer Schmidt); 399 Seiten; C. Bertelsmann Verlag, München; € 22,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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