PETER LONGERICH: "GOEBBELS"

Dr. Paul Joseph Goebbels (1897-1945) war einer der wichtigsten Mitstreiter Adolf Hitlers und vor der Machtübernahme als einer der zwölf ersten Reichstagsabgeordneten der NSDAP ein wichtiger Wegbreiter. Der in London lehrende Historiker Peter Longerich hat sich nach seiner vielgerühmten Biographie zu SS-Chef- Himmler nun mit "Goebbels. Biographie" diesem bösartigen Meister der Propaganda gewidmet

Im Gegensatz zu den bisherigen Biographien zu Goebbels konnte der Wissenschaftler dabei auf dessen erst seit einigen Jahren vollständig edierten Tagebücher, 29 Bände mit manchen kaum oder gar nicht bekannten Details und vor allem auch wichtigen Zusammenhängen, zurückgreifen. Der große Vorteil liegt insbesondere darin, dass Goebbels mit seiner Stellung der wichtigste Chronist war, der wie kein anderer dem Führer nahestand und zugleich in geradezu exhibitionistischer Weise Fakten, Gedanken und Empfindungen niederschrieb.

Dies auch ganz bewusst für die Nachwelt, für die er sich als Genius darstellte. Wobei seine Anfänge im Jahr 1925 auf eine damals gescheiterte Existenz hinweisen, denn trotz brennendem Ehrgeiz und Doktortitel gelang dem nach intensiver katholischer Gläubigkeit auch weltanschaulich Enttäuschten weder der Einstieg als Journalist noch als Schriftsteller. Um so einschneidender war dann jene persönliche Begegnung vom 12. Juli 1925 - Hitler entflammte den 27-JÄhrigen als "Erlöser" und sein Tagebucheintrag sollte prophetisch sein: "Für den Mann bin ich alles zu opfern bereit."

Der Biograf verfolgt den nun einsetzenden fanatischen Kampf für Hitler und um dessen stete Anerkennung. In bedingungsloser Hingabe, in der er auch empfindliche Enttäuschungen und demütigungen in Kauf nahm, stellte er sein Leben bis ins Privateste in den alleinigen Dienst für sein mit Inbrunst geliebtes Idol. Doch dem genialischen Auftreten, der maßlosen Geste stand eine zutiefst unsichere Persönlichkeit gegenüber, die nach steter Bestätigung lechzte. Die Analyse entlarvt eine absolut narzisstische Verformung, eine schwer grstörte Person mit megalomaner Fantasie, die dabei aber dem Größenwahnsinn Hitlers in Radikalität und Fanatismus nicht nachstand.

Beschrieben wird sein Wirken beim Aufstieg der Nazis zu einer Partei, die zur Volksbewegung wurde, auch wenn Longerich ihm ein tatsächliches Propagandagenie abspricht. Ein raffinierter Initiator von Wahlkämpfen - 1930 erstmals ganz nach US-Stil - und wirkungsvollen bombastischen Inszenierungen war er auf jeden Fall. Sein propagandistisches Meisterstück wurde jene infame demagogische Rede vom 18. Februar 1943, als er im Berliner Sportpalast den "totalen Krieg" zur endgültigen geistigen Mobilmachung ausrief. Bei aller Destruktivität des Hetzers und Zynikers war er auch einer der einfallsreichsten und produktivsten Figuren der Nazi-Ära.

Während Goebbels einerseits als Propagandaminister sein eigens Imperium der Massenbeeinflussung aufbaute, war er im Privaten zwar der berüchtigte sexhungrige "Bock von Babelsberg" mit besonderem Hang zur dortigen UFA-Filmwelt, andererseits lebte und litt er in einer seltsamen Dreierbeziehung zu Ehefrau Magda und seinem Führer. Dieser hatte ihm die angebetete Magda gewissermaßen "überlassen", blieb jedoch der Goebbels-Familie privat so eng verbunden, dass er sogar massiv auf den faunischen Hinkefuß einwirkte, als der seine Affäre mit dem Filmstar Lida Baarova legalisieren wollte.

Das Ende im Führerbunker mit dem Mord an den sechs eigenen Kindern sowie der gemeinsame Selbstmord mit Ehefrau Magda am Tag nach Hitlers Selbstmord war eine Art letzter Akt grenzenloser Gefolgschaft für den Vasallen, den der Führer in seinem Testament als "mein treuer, unerschütterlicher Schildknappe" zum Nachfolger als Reichskanzler ernannte. Das Faszinierende an den Darlegungen Longerichs ist bei all dem die Innensansicht des Systems, denn Goebbels hatte einen einzigartig unverstellten Blick auf Person und Walten Hitlers.

Bei allen Qaulitäten dieser Biographie, die gewiss bei den wichtigsten Standardwerken zum Thema Drittes Reich einzuordnen ist, bleibt jedoch eine Schwäche zu nennen: Longerich stützt sich so weitgehend auf die Tagebuchausführungen des hochemotionalen Schreibers, dass die Quellentauglichkeit zumindest nicht unumschränkt objektiv genannt werden kann. Wie gern hätte man auch die Erinnerungen anderer Zeitzeugen zu Goebbels gehört, allein, es gibt sie quasi nicht mehr und schriftliche Zeugnisse sind rar und wohl ähnlich subjektiv.

 

# Peter Longerich: Goebbels. Biographie; 910 Seiten; Siedler Verlag, München;

€ 39,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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