ECKART CONZE u.a.: „DAS AMT UND DIE VERGANGENHEIT"

Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik" ist eine ebenso erstaunliche wie erschütternde Studie über die tatsächliche Verwicklung des Reichaußenministeriums in die Verbrechen des Nazi-Regimes. Initiiert hatte die Aufarbeitung der Tatsachen 2005 der damalige Außenminister Joschka Fischer (Grüne), nachdem es Streit über Nachrufe für Diplomaten mit nationalsozialistischer Vergangenheit gegeben hatte.

In vierjähriger Arbeit haben die renommierten Historiker Eckart Conze (Marburg), Norbert Frei (Jena), Peter Hayes (Evanston/Illinois) und Moshe Zimmermann (Jerusalem) einen systematischen Überblick über den deutschen Diplomatischen Dienst seit der Machtübernahme von 1933, aber auch über die Nachkriegszeit und die neuen Karrieren der Diplomaten nach der Wiederbegründung des Auswaärtigen Amtes (AA) 1951 erstellt. Gründlich beseitigt das Werk den geradezu konspirativ gepflegten Mythos vom AA und seinen elitären Beamten als 'sauberer'Behörde, die sogar eine Art Hort des Widerstandes gewesen sei.

Nicht nur, dass zum Beispiel 1943 von den 706 Angehörigen des Höheren Dienstes gleich 573 Mitglieder der NSDAP waren oder zum Beispiel der erst 37-jährige Otto Abetz Botschafter im besetzten Frankreich wurde – im Range eines SS-Obersturmbannführers. Doch schlimmer als die weitgehende Durchsetzung des Amtes mit Gleichgültigen, Mitläufern und aktiven Nazis war die massive unmittelbare Unterstützung des Regimes insbesondere auch bei der systematischen Vernichtung der Juden. „Das Auswärtige Amt war eine durch und durch verbrecherische Organisation", lautet die bestürzende Erkenntnis.

Die Beteiligung des AA beschränkte sich bei weitem nicht auf die diplomatische Abschirmung der „Judenpolitik" nach außen, vielmehr erfolgte die Unterstützung bei der Erfassung und Deportation der Juden direkt. Bezeichnenderweise fand sich das einzige Protokoll über jene Wannsee-Konferenz vom Januar 1942, auf der die „Endlösung der Judenfrage" besiegelt wurde, im Archiv des AA. Und diese Komplizenschaft geschah völlig ungeniert, wie ein besonders erschreckendes von vielen aufgefundenen Dokumenten offenbarte: da gab der Leiter des sogenannten Judenreferats im AA Franz Rademacher nach einer Mission in seinem Antrag auf Reisekostenerstattung als Dienstreisegrund „Liquidierung von Juden in Belgrad und Besprechung mit ungarischen Emissären in Budapest" an.

Das Resümmee der Historiker-Kommisssion ist denn auch vernichtend: „Das Auswärtige Amt war an allen Maßnahmen der Verfolgung, Entrechtung, Vertreibung und Vernichtung der Juden von Anfang an aktiv beteiligt." Einige wenige Ausnahmen gab es wie den Botschaftsrat Gerhart Feine, der zahlreiche ungarische Juden rettete, oder den nachrangigen Beamten Fritz Kolbe, der aus humanitären Beweggründen zum Spion für den US-Geheimdienst wurde. Doch die Historiker haben auch aufgearbeitet, wie die vielen Mitarbeiter des AA mit brauner Vergangenheit nach dem Krieg an der Legende vom sauberen, wenn nicht gar widerständigen Ministerium werkelten – mit erstaunlichem langfristigem Erfolg.

Kaum einer der Ihren wurde bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen ernsthaft belangt und auch Ernst von Weizsäcker (der Vater des späteren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker), als Staatssekretär in alles eingeweiht und nicht nur bei der Ausbürgerung des Literatur-Nobelpreisträgers Thomas Mann unrühmlich aktiv geworden, erhielt nur eine mehrjährige Haftstrafe. Noch unfassbarer jedoch erscheint das Wirken der „Zentralen Rechtsschutzstelle" des AA, denn statt etwaige Täter zu entlarven, wurden aus dieser Dienststelle heraus Kriegsverbrecher sogar vor internationalen Haftbefehlen und der Reise in entsprechende Länder gewarnt. So nimmt es nicht wunder, dass viele Ehemalige ab 1951 ihre Karrieren wiederaufnehmen konnten – und ihnen trotz bekannt gewordener Belastungen feierliche Nachrufe zuteil wurden.

Was schließlich mit übergroßer Verspätung 2005 zur Einsetzung dieser Historiker-Kommission und der Erarbeitung ebendieses Werkes führte. Für das heutige AA gewiss eine schmerzliche Erfahrung, für die Vergangenheitsbewältigung aber ein unerlässlicher Akt der politisch-historischen Hygiene gegenüber einer verbrecherischen Epcohe, die zu lange durch Legenden verdeckt wurde. Fazit: eines der wichtigsten Bücher zur Geschichte des Dritten Reiches und der Nachkriegszeit, ebenso sachlich wie spannend geschrieben und dank der intensiven Recherche absolut fundiert samt dem umfassenden wissenschaftlichem Apparat im Anhang.

 

 

# Eckart Conze, Norbert Frei, Peter Hayes, Moshe Zimmermann: Das Amt und die Vergangenheit. Deutschen Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik; 880 Seiten; Karl Blessing Verlag, München; € 34,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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