ANDREAS HAUFFE: „IM DUNKELN SIEHT MAN ANDERS"

Otis und Lea sind sich stets aus dem Weg gegangen. Er findet sie arrogant und irgendwie uninteressant. Und die gut ausssehende Lea, der viele Jungs am Gymnasium nachschauen, hält Otis schon wegen seiner komischen langen Haare und der Mütze, die er fast immer trägt, für einen abgedrehten Typen, den man besser meidet.

Wie ausgerechnet diese Beiden in eine sehr spezielle Beziehung geraten und ganz ungewöhnliche Empfindungen dabei erleben, davon erzählt Andreas Hauffes Jugendroman „Im Dunkeln sieht man anders". Die Klassen der Beiden machen eine gemeinsame Klassenfahrt zu einem alten abgelegenen Kloster, wo jeder der 17-Jährigen in einer echten Mönchszelle nächtigen wird. Während Lea während der Fahrt geistesabwesend ist, nachdem ihr selbstherrlicher Freund Jörg am Vorabend Schluss mit ihr gemacht hat, blödelt Otis mit seinen Kumpels auf der letzten Bank herum.

Lea kann nicht begreifen, wie Jörg ihr verübeln konnte, dass sie seine Einladung in die „Unsicht-Bar" ablehnte, in der die Mahlzeiten in völliger Dunkelheit eingenommen werden. Sie hasst völlige Lichtlosigkeit und schläft stets mit einem Nachtlicht. Auch Otis hat seine besonderen Befindlichkeiten und obendrein Probleme mit dem Selbstbewusstsein, wofür es Gründe gibt. Hier aber hat er Spaß mit den kauzigen Freunden, denn der eine ist ein spinnerter Zahlenfetischist und der andere will partout eine Wette gewinnen, dass die begleitenden Lehrer – jeder anderseitig verheiratet – noch in der der ersten Nacht im Kloster gemeinsam „in die Kiste springen" werden.

Um den Abend zu Dritt noch so richtig aufzupeppen, beschließt Otis heimlich noch einmal in den nachmittags besichtigten Weinkeller der Mönche zu schleichen, um ein paar Flaschen abzustauben. Draußen braut sich derweil ein mächtiges Gewitter zusammen, hier unten in dem riesigen Labyrinth mit den unendlichen Vorräten an Flaschen und Fässern aber ist davon nichts zu spüren. Bis unversehens die Kellertür zuschlägt und gleich darauf ein Stromausfall für totale Finstenris sorgt. Doch Oris ist nicht der Einzige hier unten, den das Verlöschen des Lichts schockt: Lea hatte bei der Besichtigung des Kellers ihr Handy auf einem Fass vergessen und wollte es nun holen, weil sie doch sehnsüchtig auf eine Nachricht von Jörg wartet.

Wie die Zwei, die sich bisher nie etwas zu sagen hatten, diese ebenso aberwitzige wie furchteinflößende Situation bewältigen, die sich über Stunden hinzieht, da sie ja auch niemand vermisst, das entwickelt sich zu einem fesselnden Duell der besonderen Art. Da ist zunächst die unsägliche Furcht, bis jeder von ihnen endlich feststellt, wer da außer ihm selbst noch im Stockfinsteren herumtappert, und dass es keinen unbekannten Dritten gibt. Spannend werden die hilflosen Versuche, einen Ausweg zu finden und noch spannender, wie die dunkle Gefangenschaft sie nicht nur zusammenschweißt, sondern sie einander wirklich sehr nahe kommen.

Mehr sei hier nicht verraten, nur der besondere Clou dieser famos aufgebauten Geschichte: Lea und Otis erzählen abwechselnd und wenn dabei ganze Szenen doppelt geschildert werden, denn jeweils von Beiden, jeweils aus seiner Sicht und natürlich aus verschiedenen Blickwinkeln. Dabei lernen wir die komplexen Charaktere hervorragend kennen und das Ganze hat durchaus seine Momente, in denen es richtig knistert.

Zum großartigen Lesevergnügen für junge Leser ab etwa 15 trägt im Übrigen die locker-flockige Jugendsprache bei, die kein bisschen aufgesetzt wirkt. Aus all den raffiniert gemischten Zutaten ist so auch ohne Abenteuer- oder Krimi-Handlung ein starkes Stück Spannungsliteratur entstanden.

 

# Andreas Hauffe: Im Dunkeln sieht man anders; 240 seiten, Klappenbroschur; Thienemann Verlag, Stuttgart; 12,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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