JOHN le CARRÉ: „VERRÄTER WIE WIR"

Einst verarbeitete John le Carré eigene Erfahrungen als Geheimagent in solch großen Spionageromanen wie „Der Spion, der aus der Kälte kam". Sowjetunion, Kalter Krieg, Ost-West-Bedrohung sind lange passé, doch auch die ganz großen Gefahren für Freiheit und demokratische Rechtsordnung? Da ist der britische Erfolgsautor gar nicht optimistisch und er hat typische Vertreter der neuzeitlichen Bedrohungen in Moskau kennengelernt: die Milliarden schwarzen Geldes und die dubiosen Leute, die sie dirigieren – in den Westen mit seinen von materieller Gier unterminierten Demokratien.

Dreh- und Angelpunkt für diese ganz andere Beherrschung wohlhabender westlicher Länder sind jene Emissäre der russischen Mafia-Organisationen, die als Geldwäscher im ganz großen Stil auftreten. Dima lautet der oberste Vertreter, Mitte 50 und mit richtigem Namen Dimitri Wladimirowitsch Krasnow, offiziell Unternehmer, aber auch mit langjährigen Haftstrafen als Gangster. Diese beeindruckende Erscheinung stellt le Carré in den Mittelpunkt seines jüngsten Politthrillers „Verräter wie wir". Und ganz im Stil eines Hitchcock-Films umgarnt dieser Dima ein ahnungsloses junges Paar als Werkzeug für einen lang gehegten Plan.

Der sportliche Literaturprofessor Perry Makepiece und seine attraktive Freundin Gail Perkins, eine smarte Rechtsanwältin, gönnen sich einen luxuriösen Urlaub auf der Karibikinsel Antigua, als ihnen der ebenso geheimnisvolle wie charismatische Dima begegnet, der seinen Reichtum nicht nur mit der brillantengeschmückten Rolex protzig demonstriert. Dima versteht es, die Beiden mit seinem bärenhaften Charme für sich einzunehmen. Als er sie schließlich diskret bittet, dem britischen Geheimdienst ein überaus wichtiges Dokument zuzuspielen, glauben sie, ihrem Land mit diesem kleinen Dienst etwas Gutes zu erweisen.

Tatsächlich gelingt der Kontakt mit Hector Meredith vom Geheimdienst, der sogleich die Brisanz des Angebots erkennt. Dima will einen Handel: sein umfassendes Wissen über sämtliche finanzielle Querverbindungen von politischen und Mafia-Kreisen gegen die Aufnahme im sicheren Hafen Englands für sich und seine Familie. Das hat für ihn nichts mit Ehre oder Gewissen zu tun – als Ehrenkrimineller, ehemaliger Schwerverbrecher und eingeschworen auf die mächtige Wory-Bruderschaft hat er erfahren, dass er auf der Abschlussliste steht.

Meredith aber ahnt zunehmend, dass der an sich so lohnende Tausch nicht nur bei ihrer Majestät Geheimdienst gar nicht so willkommen ist, wo die Korruption sich längst bis in höchste Kreise gefressen hat und die der mächtigsten Banken ohnehin. Infiziert von den Geldfluten aus dem Osten, weichen die Grenzen zwischen Gut und Böse ebenso auf wie die zwischen westlicher Demokratie und russischer Pseudo-Demokratie und längst sitzen die russischen Milliardäre in Finanzmetropolen wie London und halten sich millionenteure Fußballclubs und ähnliche Spielereien.

Wenn also dieses pekuniäre Gift längst auch in die Schalthebel westlicher Industrienationen eingedrungen ist – wird es dann nicht zu einem Wettlauf mit der Zeit für einen Aussteiger wie Dima?! Und wie willkommen kann da das Entlarven all der Machenschaften noch sein, wenn die Staatsdiener doch selbst bereits tief ins System verflochten sind?! Wem kann man da noch vertrauen, denn man weiß doch: wo die Moral verloren geht, ist der Verrat besonders nah.

Es ist ein Stück pessimistischer Weltsicht des Altmeisters der Spionageliteratur, wo die drohende Invasion durch die östliche Großmacht ebenso Geschichte geworden ist wie jene Agenten vom Schlage seines George Smiley und der Westen stattdessen einfach schleichend aufgekauft wird. Das Alles hat le Carré zu einer raffinierten Melange aufgearbeitet. Man erwarte jedoch keinen Actionthriller, dafür aber grandios gezeichnete Charaktere, allen voran die kraftstrotzende Figur Dimas. Die Sprache ist zuweilen fast grobschlächtig, was dem ausgesprochen realistischen Geschehen aber vielleicht sogar eine besondere authentische Note verleiht.

 

# John le Carré: Verräter wie wir (aus dem Englischen von Sabine Roth); 414 Seiten; Ullstein Verlag, Berlin; € 24,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

Dieses Buch bei Amazon.de bestellen. 


Kennziffer: BEL 737 - © Wolfgang A. Niemann - www.Buchrezensionen-Online.de