SCOTT TUROW: „DER LETZTE BEWEIS"

Vor über 20 Jahren erfand Scott Turow mit seinem Welterfolg „Aus Mangel an Beweisen quasi den Gerichtsthriller." Damals stand der smarte Staatsanwalt Rusty Sabich unter dem dringenden Tatverdacht, seine Geliebte, die ehrgeizige Kollegin Carolyn Polhemus, ermordet zu haben. So fanatisch der Anklagevertreter Tommy Molto ihn auch in die Zange nahm, aufgrund teils verschwundener, teils manipulierter Beweise wurde das Verfahren eingestellt.

Seinerzeit war Sabich nach einer Trennungszeit zu seiner psychisch instablien Ehefrau Barbara zurückgekehrt – maßgeblich wegen des kleinen hypersensiblen Sohns Nat. Nun aber, im Jahre 2007 zu Sabichs 60. Geburtstag, kehrt Erfolgsautor Turow gewissermaßen zurück zum Tatort und wagt ein Vabanque-Spiel, indem er seine damaligen Hauptfiguren in ein erneutes Fegefeuer schickt.

Der letzte Beweis" heißt der neue Roman und Sabich ist inzwischen zum Chefrichter am Berufungsgericht aufgestiegen und steht an zur Wahl an den Bundesgerichtshof. Privat jedoch ist er in den vergangenen Jahren eher unglücklich gewesen an der Seite der oft unberechenbaren Barbara. Freude macht ihm lediglich Sohn Nat, inzwischen 28 und angehender Jurist, der allerdings durch die Ehemisere der Eltern sehr melancholisch ist.

Dieser Sohn ist nun der erste Ich-Erzähler und er berichtet am 30. September, wie er zu seinem Vater kommt, der am Bett der verstorbenen Mutter sitzt. Herzversagen sagt Sabich senior, wie es in ihrer Familie vorkomme. Dennoch kann Nat nicht verstehen, warum der Vater fast 24 Stunden nach Feststellen des Todes allein mit der Toten verbracht hat ohne ihn, ohne einen Arzt oder auch die Polizei anzurufen.

Dann springt die Handlung zurück zum März 2007 und stellt die Einsamkeit des angesehenen Richters angesichts des nahenden Alters heraus und so mag es verständlich sein, dass er den Avancen seiner jungen, attraktiven Referandarin Anna nachgibt und es zu einer heimlichen aber sehr beglückenden Affäre kommt. Zugleich erlebt man Sabich beim Berufungsfall des Mörders Harnason, bei dem er aus einer Überraschungssituation heraus einen fatalen Fehler begeht.

Noch entwickelt sich das Alles eher sperrig, andererseits bereitet es exzellent das Gesamttableau für den unweigerlich kommenden Gerichtsprozess vor mit Rusty Sabich nach 20 Jahren zum zweitenmal auf der Anklagebank. Doch bevor wie damals Tommy Molto, jetzt kommissarischer Oberstaatsanwalt aber auch frisch und glücklich verheiratet, zum unnachgiebigen Ankläger wird, hat sich Sabich längst von Anna getrennt und die ist mittlerweile in einer ernsten Liebesbeziehung ausgerechnet mit dem nichtsahnenden Nat verbunden. Und es gab das erste gemeinsame Abendessen aller Vier im Hause Sabich. Am Vorabend des Ablebens von Barbara Sabich...

Im Juni 2006 ist es soweit: Molto und sein überehrgeiziger Adlatus Brand eröffnen den Mordprozess gegen Sabich. Von dem sie nicht nur überzeugt sind, dass er seine Frau vergiftet hat, sondern dass er auch vor 20 Jahren schon schuldig war. Wie damals vertraut Sabich auf den zwar schwer kranken aber immer noch ungeheuer raffinierten Verteidiger Stern. Und während der Leser bei der jetzt einsetzenden Achterbahnfahrt nie an Rustys Unschuld zweifelt, gerät dieser von einer Not in die nächste.

Voller Überraschungen läuft das ab und Turow als versierter Prozessanwalt deckt die ungeheuerlichen Unwägbarkeiten im US-amerikanischen Rechtswesen schonungslos auf. War Barbaras Tod durch ein gefährliches Anti-Depressivum ein Unfall, der von Sabich behauptete Suizid oder hat er doch für ein „Letztes Abendmahl" gesorgt? Mehr sei hier nicht verraten von diesem ebenso wendungsreichen wie spannenden Geschichtsthriller.

Turow beweist, dass er noch immer der Beste in diesem Genre ist. Dazu trägt neben den hervorragend gezeichneten Figuren und der klaren Sprache vor allem die elegante Dramaturgie bei, wenn Vater, Sohn und Anna als Ich-Erzähler berichten, die Ankläger und ihr Tun jedoch mit der Distanz eines Berichterstatters geschildert werden. Mit viel Menschlichkeit und Tiefgang überzeugt die Geschichte auch anspruchsvolle Leser und man muss nicht einmal Krimi-Freund sein, um dieses Werk als hochkarätiges Lesevergnügen zu genießen.

 

# Scott Turow: Der letzte Beweis (aus dem Amerikanischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann); 576 Seiten; Karl Blessing Verlag, München; € 21,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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