ISABEL ALLENDE: „DIE INSEL UNTER DEM MEER"

Ein grandioses Plädoyer gegen Rassismus und Sklaverei ist Isabel Allendes neuer Roman „Die Insel unter dem Meer" geworden. Im ersten Teil des Geschehens führt die Erfolgsautorin den Leser nach Saint-Domingue, von seinen Ureinwohnern einst Haiti genannt und nun als französische Kolonie ein finsteres Zentrum der Sklaverei, da, wo sie auf ihren Zuckerrohrplantagen am unbarmherzigsten und menschenverachtendsen herrscht.

Man schreibt das Jahr 1770, als Toulouse Valmorain auf die Insel kommt und die Plantage des sterbenden Vaters übernehmen muss. Als gebildeter Dandy und Anhänger des „Zeitalters der Vernunft" kommt der 20-Jährige. Pragmatisch sieht er die Sklaverei als notwendiges Übel an. Selbstverständlich sind für ihn die zu hunderttausenden aus Afrika herbeigeschafften Sklaven keine Menschen und wenn er auf besserer Behandlung besteht, dann aus rein praktischen Gründen: so können sie mehr leisten, bis sie „verbraucht" sind.

Valmorain achtet darauf, sich nicht die Hände schmutzig zu machen, das überlässt er seinem brutalen Aufseher, dem freien Mulatten Prosper. Zugleich hält ihn seine liberale Gesinnung nicht davon ab, die junge Haussklavin Zarité bereits mit elf nach Lust und Laune zu missbrauchen und zu schlagen. Diese kleine Mulattin, die er fürs Haus kaufte, als er die schöne aber unselbständige Eugenia, eine Spanierin aus verarmtem Adel, heiratete, ist die wahre Hauptfigur des gesamten Geschehens, das sich über vier Jahrzehnte ausdehnt.

Ihren Leidensweg durchsteht Zarité, Tété genannt, nur mit dem unbezähmbaren Willen, eines Tages ein freier Mensch zu sein. Hinzu kommt der früh gelernte Voodoo-Glaube und die Magie des Tanzens, denn: „Der Sklave, der tanzt, ist frei, solange er tanzt." Während Eugenia bald im mörderischen Klima der Insel dahinsiecht, nimmt Valmorain Tété den von ihm gezeugten Erstgeborenen weg und macht sie dann zur Ziehmutter seines legitimen Sohnes Maurice. Doch die Zeiten ändern sich, denn im fernen Frankreich zieht die Revolution herauf und hier auf Haiti lehnen sich immer öfter immer mehr schwarze Sklaven gegen ihre Peiniger auf.

1791 schließlich bricht jener Sklavenaufstand aus, der in einem Rausch von Rache und Blutdurst die Herrschaft der Weißen hinwegfegt. Valmorain, der nicht einmal glauben mag, dass Schwarze wie Menschen Schmerzen zu fühlen vermögen, wird ausgerechnet von Tété zur Flucht von der Insel verholfen. Sie aber weiß, dass wohl nur er ihr die zugesagte Freilassung verschaffen kann. So flieht sie mit dem verabscheuten Sklavenhalter, seinem Sohn und ihrer ebenfalls von ihm gezeugten Tochter Rosette nach New Orleans.

Hier beginnt nun 1793 Teil 2 des Romans in der quirligen spanisch-französischen Metropole. Valmorain gelingt ein Wiederaufstieg, für Tété allerdings liegt die Freiheit noch immer in der Ferne in einer Gesellschaft, die zwar weniger brutal aber kaum weniger rassistisch ist. Wenn es dennoch einen Wandel gibt, so zeigt er sich am hinreißendsten im Gegensatz zwischen der trotz des harten Schicksals auch mit über 40 noch attraktiven Sklavin und dem inzwischen fetten und nach einem Schlaganfall hinfälligen Valmorain. Und sie lehnt ab, als er ein letztes Mal befehlen will – sie soll ihn pflegen.

Doch dieser ungemein bewegte und bis zur letzten Zeile fesselnde Roman, der vor einem exzellent recherchierten historischen Hintergrund erzählt wird, lebt von weit mehr als nur diesen beiden großartig gezeichneten Charakteren. Als Vertreterin des Magischen Realismus bringt Isabel Allende außerdem den Voodoo-Glauben der Schwarzen ebenso ein wie die geistige Welt afrikanischer Gottheiten und ermöglicht so entrückte Szenen von Traum und Trance. Zugleich spart sie jedoch auch nicht an der Darstellung übelster Unmenschlichkeiten.

Die Insel unter dem Meer" ist ein überaus sinnlicher Roman mit einer klaren Botschaft und er demonstriert auf beklemmende Weise, wie die Sklaverei nicht nur das Menschsein der Sklaven verneint sondern auch das derjenigen zerstört, die sie besitzen. Fazit: nichts für Zartbesaitete aber ein meisterhaftes Stück Literatur zu diesem Thema.

 

# Isabel Allende: Die Insel unter dem Meer (aus dem Spanischen von Svenja Becker); 557 Seiten; Suhrkamp Verlag, Berlin; € 24,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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