JUSTIN CRONIN: „DER ÜBERGANG"

In einer Zeit nur wenige Jahre in der näheren Zukunft kommen neokonservative Kreise in den USA auf die Idee, dem internationalen Terror mit Biotechnologie beikommen zu wollen. In einem höchst geheimen militärischen Versuchslabor in den Bergen von Colorado sollen mittels entsprechender Impfungen aus Soldaten quasi unsterbliche Kampfmaschinen gemacht werden.

Das ist der Ausgangsgedanke von Justin Cronins gewaltigem Roman „Der Übergang", der sich zu nichts Geringerem als dem packenden Endzeitthriller schlechthin entwickelt. Zunächst aber haben einige Wissenschaftler im Urwald von Bolivien das zweifelhafte Vergnügen einer Begegnung mit hochaggressiven Fledermäusen, die eine lebensgefährliche Blutkrankheit übertragen. Gepaart mit Virenstämmen, die offenbar eine Art Langlebigkeitsgen in sich tragen, scheint man damit den entscheidenen Mix bei der Abteilung „Special Weapons" gefunden zu haben.

Nun führt der Roman in seinen ersten Teil in der nahen Zukunft in einem immer noch modernen aber irgendwie heruntergekommenen und paranoiden Amerika und erweist sich vorläufig als genretypischer Verschwörungsthriller, in dem FBI-Mann Wolgast mit seinem Partner Probanden für das Labor sammelt. Die Methoden zur absoluten Geheimhaltung sind dabei von kalter Brutalität. Als Wolgast dann die soeben von ihrer Mutter in einem Kloster ausgesetzte sechsjährige Amy als letztes Versuchsexemplar entführt, wird er selbst zum Gejagten, weil er Skrupel entiwckelt sie abzuliefern.

Es gelingt ihm ohnehin nicht und während das zarte Kind auf Eben 4 verbracht wird, um den vervollkommneten Cocktail infiziert zu bekommen, empfindet der Leser längst ein ahnungsvolles Grausen wegen all der verwirrenden Vorgänge in diesen Katakomben. Zu unüberwindlichen Kampfmaschinen soll der Virusmix die Versuchskaninchen formen, doch als Probanden haben die Militärs vor Amy zwölf Verbrecher aus verschiedenen Zellen für zum Tode Veruteilte geholt. Und wenn dieses Projekt ausgerechnet NOAH heißt, dann ist das keine Abkürzung für etwas, sondern verweist auf den biblischen Noah, der angeblich 950 Jahre alt wurde...

Was die verantwortungslosen Wissenschaftler in ihrem Wahn als „das neue Manhattan Project" da herangezüchtet haben, erkennen sie erst, als diese Ungeheuer mit den seltsamen Fressgewohnheiten und den großen orangegelben und extrem lichtempfindlichen Augen mit explodierender Aggressivität den Ausbruch schaffen. Kühl wird später festgestellt, dass sie alles fressen, was Hämoglobin in den Adern und eine Wärmesignatur zwischen 36 und 38 Grad aufweist – also quasi sämtliche Säugetiere von der der Maus bis zum Grizzly.

Man nennt sie Virals, sie zerfleischen die Lebewesen in einem gierigen Blutrausch und doch ist das noch nicht das Schlimmste. Hatte man sich schon im Labor gewundert, wieso jedes zehnte Kaninchen – lebend, ihre übliche Tagesspeise – leben ließen, wird allmählich offenbart: das jeweils zehnte Opfer wird nur gebissen und dabei mit „viral bedingten hämorrhagischen Fieber bei nicht-menschlichen Primaten" infiziert, so dass es ebenfalls zum Viral mutierte. Damit beginnt die Apokalypse, die innerhalb weniger Wochen viele Millionen Menschen auf grausigste Wiese dahinrafft, und mit dieser vermutlich global um sich greifenden Menschheitskatastrophe geht die Welt, wie wir sie kennen, unter.

Hat sich dieser erste Teil des Romans anfangs noch gar nicht so schnell entfaltet und auch das Gefühl der aberwitzigen Bedrohung erst langsam ins Beklemmende gesteigert, so springt der Autor nach diesen schier unfassbaren Ereignissen in eine gänzlich andere Zeit und zu anderen Figuren. Nun sind wir in der Ersten Kolonie in den kaliformischen San Jacinto Bergen, einer massiven städtähnlichen Festung. An die einhundert Jahre sind seither vergangen, es herrscht „Das Eine Gesetz" und oberste Maxime ist, dass die Flutlichtscheinwerfer gegen die photophoben Ungeheuer niemals versagen.

Man weiß nicht mehr viel über die frühere Welt, Politik und Religion spielen ebenso wenig eine Rolle wie Gefühlsduseleien und verwandschaftliche Bande, zumal jeder weiß: wird jemand infiziert, wird er unentrinnbar zur todbringenden Kreatur. Doch selbst diese auf die Grundbedürfnisse menschlichen Zusammenlebens reduzierte Gemeinschaft – möglicherweise die letzten normalen Lebewesen auf der Welt neben den millionenfach verbreiteten Virals?! - stößt allmählich an gefährliche Grenzen. Wenn sie überleben wollen, brauchen sie die Elektrizität, Techniker Michael stellt zu seiner Bestürzung jedoch fest, dass die alten Akkus für die Stromspeicherung zunehmend Verbrauchserscheinungen zeigen und ihr Versagen abzusehen ist.

Just in dieser Phase taucht eine Gestalt von außen auf, die den von Virals verfolgten Peter auf seltsame Weise rettet: Amy, das Mädchen aus dem ersten Teil! Man findet bei dem allenfalls um zehn Jahre gealterten Mädchen einen implantierten nuklear betriebenen Speicher-Chip. Nun wissen die Kolonisten nicht nur, dass es offenbar doch noch anderswo Menschen gibt, durch die Daten des Chips erfahren sie auch von jenem geheimen Army-Institut in Telluride/Colorado, von dem aus die Epidemie einst ihren Ausgang nahm.

Gemeinsam mit der geheimnisumwobenen stummen Amy bricht eine Gruppe von ihnen auf ins weit entfernte Colorado. Dieser hochspannende Zug bietet neben beeindruckenden Bilder einer untergangenen Zivilisation samt einem rasanten Showdown in den Ruinen von Las Vegas einen dritten Roman im Roman voller verstörender Abenteuer. Zuweilen werden diese unterbrochen von Tagebucheintragungen, die Gewesenes auf beklemmende Weise reflektieren. Und es sei schließlich verraten, dass es keinen edngültigen Abschluss für den Roman gibt, zumal bisher nur zu ahnen ist, dass Amy, dieses unendlich einsame Mädchen aus dem Nichts, durch ihre Ausformung der einstigen Impfung womöglich die Retterin der Menscheit sein könnte.

Bleibt die Frage nach den Qualitäten dieses monumentalen Reißers des amerikanischen Englisch-Professors, der Ansätze von Michael Crichton und Stephen King mit der Apokalypse von Cormac McCarthys „Die Straße" verbindet. Wenn sich Science-Fiction und Horror-Roman zu einem solch exzellent komponierten Endzeitthriller verbinden und selbst die blutsaufenden Springteufel darin eher den Fantasien maßloser Militärs als denen von Fantasie-Drechslern entsprungen scheinen, dann kann man das als Literatur ernst nehmen und mit der Eingangsgeschichte des ersten Teils macht das sehr nachdenklich.

Ein Vampirroman ist dieses in ebenso zupackender wie literarischer Sprache verfasste Buch übrigens überhaupt nicht, denn die Virals haben weder den morbiden Charme eines Graf Dracula noch passen sie zu den so trendigen Tennie-Beißern. Fazit: ein außergewöhnlich packendes Lesevergnügen der haarsträubenden Art. Nichts für Zartbesaitete, alle Anderen aber werden sich auf die Fortsetzungen und die geplante Verfilmung freuen.

 

# Justin Cronin: Der Übergang (aus dem Amerikanischen von Rainer Schmidt); 1021 Seiten; Goldmann Verlag, München; € 22,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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