MELANIA G. MAZZUCCO: „TINTORETTOS ENGEL"

Tintoretteo (1518-1594) war eines der größten Malergenies der Renaissance, doch er hasste diesen Namen, der sich als „Färberlein" auf seine Herkunft als Sohn eines Färbers, aber eben auch auf seine kleinwüchsige Figur bezog. Dem Leben dieses Jacopo Robusti hat sich nun die italienische Erfolgsautorin Melania G. Mazzucco mit ihrem Roman „Tintorettos Engel" gewidmet.

Auf der Grundlage intensiver Recherchen hat sie damit ein Porträt geschaffen, dass dem wahren Tintoretto vermutlich gerechter wird als vieles, was bisher über den grantigen und außerordentlich arbeitswütigen Maler geschrieben wurde. Mit einem meisterhaft umgesetzten dramaturgischen Trick ist ihr dabei ein bis zuletzt fesselndes Werk gelungen, indem sie den Meister in 15 Fiebertagen bis zu seinem Tod im Zwiegespräch seinem Gott gegenüber Rechenschaft über sein Leben, sein Kunstschaffen und seine Sünden abgeben lässt.

Als er geboren wurde, starben gerade Genies wie Michelangelo und Leonardo da Vinci, Tizian war eine Generation älter und er entledigte sich des Lehrlings alsbald als drohende Konkurrenz. Wo die großen Genies sich allseitiger Popularität erfreuten, musste sich der eigenwillige Freidenker Tintoretto Erfolg und Ruhm allerdings mühsam erkämpfen und war sich selbst mit seinem schwierigen Temperament und seinem Freidenkertum oft genug selbst im Weg. Lange musste er sich mit Porträtmalerei über Wasser halten und erst 1565 gelang ihm die Aufnahme in die so wichtige „Scuola di San Rocco" und damit der Durchbruch zu den Aufträgen zu den vielen berühmten gewaltigen Großwerken.

Die eigentliche Spannung des Romans aber liegt in den privaten Beweggründen seines Schaffens, bei dem der titelgebende Engel als die alles entscheidende Muse für die Entwicklung seines gesammten Lebenswerks eine zentrale Rolle spielt. Die erste große Liebe in Tintorettos Leben war Cornelia, eine ebenso schöne wie selbstbewusste deutsche Hure. Mit ihr, die bald verschwand, hatte er ein Kind und nach dieser unehelichen Tochter Marietta verzehrte sich der Maler bis zu seinem Tod, ohne dem verbotenen Begehren je nachzugeben. Als er später die 26 Jahre jüngere Faustina heiratete, Tochter eines Freundes, gebar ihm diese zwar etliche Kinder, an erster Stelle jedoch stand stets Marietta.

Entgegen allen Konventionen förderte er sie und ihr großes Talent, indem er sie als Junge verkleidete, um sie in seiner Werkstatt und bei seinen Auftraggebern als Malerin einsetzen zu können. In Dialogen mit ihr, die sich sogar einen Ruf als „La Tintoretta" mit ihrem eigenen Schaffen erwarb, legt der Dahinsiechende auch sein Verständnis von Kunst dar. Auf hinreißende Weise eröffnet sich da seine so andere Art des Malens voller Dramatik, dunkler und geheimnisvoller als die farbensatten Großwerke der Hochrenaissance.

Tintoretto, der seine quirlig kosmopolitische Heimatstadt Venedig nur zu kurzen Ausflügen verließ, war ein erzählender Künstler, oft mit ungewöhnlichen Perspektiven, immer aber sinnlich und bildgealtig. Doch bewegt wie seine Gemälde – er schuf über 650 – war auch das Leben, von dem er berichtet. Mal erfahren wir von Geniestreichen der Selbstvermarktung, mal vom Durchleiden zweier Pest-Epidemien oder wie er beim Brand im Dogenpalast den Untergang eigener Werke erlebte.

Erzählt wird das Alles in einer ungeheuer dichten Prosa mit ungeschminkter zupackender Sprache, die zuweilen von herber Poesie ist, aber auch vor drastischen Beschreibungen nicht zurückschreckt. Melania G. Mazzucco hat den Roman bunt und dramatisch bewegt geschrieben. Zur Faszination dieses großartigen Stücks Literatur trägt im Übrigen das glänzend eingeflochtene Zeit- und Lokalkolorit Venedigs als einer Art Welthauptstadt jener Epoche bei.

 

# Melania G. Mazzucco: Tintorettos Engel (aus dem Italineischen von Birte Völker); 544 Seiten; Knaus Verlag, München; € 22,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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