ANTHONY McCARTEN: „HAND AUFS HERZ"

Auch in seinem neuen Roman „Hand aufs Herz" gelingt es Multitalent Anthony McCarten wieder, Absurdes auf glaubhafte Weise als Tragikomödie mit subtil ätzender Gesellschaftskritik vorzulegen. Es geht um einen dieser zumeist ziemlich idiotischen Wettbewerbe mit einem ausgelobten Preis und viel Medientrubel drumherum.

Autohändler Hatch steht vor der Pleite und da kommt er auf eine primitive aber werbewirksame Idee: 40 Kandidaten bekommen die Chance, um einen nagelneuen Range Rover zu kämpfen. Gewinner ist, wer es am längsten schafft, seine Hand auf dem Edel-Geländewagen zu halten, im Stehen, bei Tag und bei Nacht. Primitiver geht es nicht? Man braucht nur einmal an gewisse Quotenrenner auf den privaten Fernsehkanälen denken, um zu wissen, dass so etwas nicht nur in England unweigerlich auf massives Publikumsinteresse stößt.

40 dürfen mitmachen, doch über 150 drängen herbei. Unter ihnen Tom, 40 Jahre, intelligent, aber trotz schwerer Erfolglosigkeit ein bräsiger Besserwisser. Entsetzt sinniert er über all diese großenteils unansehnlichen „Desperados" - und ist doch selbst trotz attraktiver Erscheinung einer von ihnen. Dieser Luxuswagen, das wäre garantiert der erste Schritt zurück zum Aufstieg, der einem wie ihm einfach zusteht. Anders als zum Beispiel dem abgetakelten Walter, mit 70 der Älteste, der ebenfalls die Auslosung zum Mitmachen gewinnt.

Oder Jess, eine vom Leben gebeutelte 39-Jährige, mit der Tom ausgerechnet an diesem Tag bereits eine heftige Begegnung hatte – er als genervter Falschparker, sie als schüchterne Politesse. Und sie ist bei all den verschiedenen Motiven fürs Mitmachen diejenige, die den wohl menschlichsten Grund überhaupt mitbringt. Seit einem Unfall ist sie Witwe und ihre Tochter sitzt im Rollstuhl. Mit dem großen Auto könnte sie sie endlich problemlos zu einer guten Schule und auch sonst wohin bringen. Natürlich liegen Tom und Jess alsbald im Clinch. Wie all die Anderen, die nicht nur gegeneinander sondern auch gegen den eigenen Körper und Geist kämpfen bis hin zu Halluzinationen.

Auf die ein oder andere Art geht es für fast jeden von ihnen irgendwie ums Leben, um das bisschen Selbstachtung, um die einmalige Chance. Erst wird es nur Stress, dann Erschöpfung und Verzweiflung und nicht jeder erträgt das eigene Versagen. Ein Soldat bedroht nach dem Ausscheiden sogar den gesamten Wettbewerb mit einer vermeintlichen Bombe – mit erstaunlichem Misserfolg. Als auch noch der 70-Jährige stirbt, droht dem längst zum Albtraum gewordenen Irrwitz auch noch der Abbruch durch die Polizei.

Mehr sei hier nicht verraten von dieser so leichtfüßig gelungenen bösen Gesellschaftssatire. Sensibel und zugleich mit beißendem Witz fesselt das absurde Geschehen gerade, weil es so glaubhaft dargestellt ist. Und weil McCarten einmal mehr bis hin zu den Nebenrollen hinreißende Charaktere auftreten lässt, die sich bei allen tragischen Momenten immer wieder auch in meisterhafter Situationskomik tummeln. Fazit: ein Lesevergnügen auf hohem Niveau, das unbedingt verfilmt gehört.

 

 

# Anthony McCarten: Hand aufs Herz (aus dem Englischen von Manfred Allié); 320 Seiten; Diogenes Verlag, Zürich; € 21,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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