TOM SHARPE: „LAUTER IRRE"

Politisch korrekt waren Tom Sharpes Bücher noch nie und daran hält sich der Meister der schwarzhumorigen Gesellschaftssatire auch in seinem neuen Roman „Lauter Irre". Diesmal widmet sich der gebürtige Londoner der weitverzweigten Familie der Gropes aus dem nördlichen England mit seinen kargen Landschaften. Die Besonderheit dieses Clans: die Frauen haben das Sagen, gebären grundsätzlich nur Töchter und sorgen dafür, dass ihre Männer ihren Familiennamen annehmen.

Bevor Sharpe nun zu den durch und durch aberwitzigen Ereignissen in der Gegenwart kommt, lässt er erst einmal 1000 Jahre Geschichte der Gropes Revue passieren. Urvater war demnach der dänische Wikinger Awgard der Bleiche. Bei den damals häufigen Raubzügen der Wikinger war die Nonne Ursula wegen ihrer übergroßen Hässlichkeit schon zweimal für nicht „schändungswürdig" von den ansonsten nicht sehr wählerischen Mordbrennern befunden worden. Entsprechend gierig reagierte sie auf Awgard, der wegen seiner Neigung zu Seekrankheit und Reiseunlust als Wikinger sowieso ein Versager war.

Im Wortsinne nahm sie sich ihn zum Manne und so machten es auch alle Töchter. Was sich zuweilen schwierig gestaltete, denn die Grope-Frauen waren durchweg groß, rothaarig, hässlich, herrschsüchtig und obendrein sexuell unersättlich. Die krude Familiengeschichte zählt eine große, stets weibliche Nachkommenschaft und im 20. Jahrhundert sogar richtigen Reichtum auf. Dennoch müssen die Grope-Mädchen in die Ferne ziehen, um überhaupt noch Partner zu ergattern, so übel ist ihr Ruf. Und dann gibt es eine von ihnen, die irgendwie ein wenig aus der Art geschlagen ist.

Diese Belinda, Nichte von Clanoberhaupt Myrtle, sieht recht passabel aus, hat tasächlich den Namen ihres Autohändlergatten Ponson angenommen und ist – wenngleich ohne eigene Schuld – kinderlos. Doch zunächst kommen ihre Schwägerin, die nervtötend überromantische Vera, und deren Mann Horace Wiley, ein Mickermann von mittlerem Banker, in den Mittelpunkt des Geschehens. Ihre Ehe ist peinlicher, als Loriot sie je hätte erfinden können, was für den schlappen Sohn Esmond eine entsetzliche Bürde wird. Dabei gleicht er dem Vater wie ein exaktes Double und der greift schließlich sogar zum Küchenmesser, denn: „Ich kann seine jämmerliche Visage nicht mehr ertragen."

So ist zu verstehen, warum die Überübermutter Vera ihr Söhnchen zu Tante Belinda gibt. Während Horace in erstaunlicher Heimtücke und Zielstrebigkeit seine Flucht vorbereitet, schaukelt sich Esmonds Einnistung beim bräsigen Onkel und der rachsüchtig frustrierten Tante zum hinreißend schrägen Chaos auf, das absolut filmreif aufdreht, zumal es kriminiell ausartet und die Polizei sich dämlicher anstellt, als dieselbe erlaubt.

Entführung, Mord, Al-Quaida, im Garten ein privates „Schlachthaus zum Selberschlachten" und dazu die ganz normale Niedertracht mit Gestalten aus dem Panoptikum – das Alles ist so herrlich boshaft und genüsslich gemein, das nocht einmal das märchenonkelhafte Happyend wirklich stört. Schließlich gehört es sich, dass eine Grope sich einen Mann nimmt, und sei er auch nur ein 17-jähriger mickriger Neffe!

 

 

# Tom Sharpe: Lauter Irre (aus dem Englischen von Marie-Luise Bezzenberger); 224 Seiten; Goldmann Verlag, München; 17,95 Euro

WOLFGANG A. NIEMANN

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