RODDY DOYLE: „WILDNIS"

Booker-Prize-Träger Roddy Doyle zählt zu den größten lebenden Autoren Irlands. Jetzt legt er mit „Wildnis" seinen ersten Jugendroman vor und spricht dabei ganz junge Leser ebenso an wie Erwachsene, denn geht es einerseits auch um echtes Abenteuer, spielen andererseits zwei verlorengegangene Mütter zentrale Rollen.

Der zehnjährige Toim Griffin und sein fast zwei Jahre älterer Bruder Johnny brechen im Winter von Dublin aus mit ihrer Mutter Sandra auf zu einem Urlaub der besonderen Art: einer Wintersafari mit Hundeschlitten in Lappland. Die Jungs ahnen nicht, dass diese Reise nicht ganz so spontan von ihren Eltern ausgeheckt wurde, wie sie meinen. Auslöser war nämlich der Dauerstress mit Frank Griffins Tochter aus erster Ehe.

Diese Grainne ist 16 und geradezu eine Pubertäts-Terroristin. Sie hat die Schule geschmissen, brüllt ihre Stiefmutter an, macht durch Türenschlagen ihren Grimm auf alles und jeden überdeutlich und nun ist sie auch noch beim Klauen erwischt worden. Da findet selbst der so verständnisvolle Vater Frank keinen Zugang mehr zu der Einzelgängerin, die sich ansonsten am liebsten in die Abgeschiedenheit zwischen ihren Kopfhörern verkriecht und Punkmusik hört. Weil die so wütend und ehrlich ist wie sie.

Und es gibt einen besonders heiklen Anlass für Sandra, sich und die Jungs gewissermaßen aus der Schusslinie zu bringen: Grainnes leibliche Mutter Rosemary hat ihren Besuch angekündigt. Sie ergriff einst in einer Selbstfindungsphase die Flucht nach New York, ließ die gerade vierjährige Grainne im Stich und hatte sich seither nicht mehr gemeldet. Nun wartet das spröde abweisende Mädchen also am Flughafen und grübelt verstört über die jahrelangen Fantasien nach, wie es wohl sein würde mit ihrer Mutter.

In der hervorragend jeweils vorangestellten Parallelhandlung erleben die Jungs derweil hinreißende Schlittenfahrten mit ihrer Mutter und dem finnischen Fremdenführer Aki. Mal mit den Huskies, mal mit Schneemobilen in der tief verschneiten Wildnis unterwegs, wird der herbe Spaß bitterer Ernst, als Mutter Sandra plötzlich in den unwirtlichen Weiten vermisst wird. Wie die Jungs die Suche auf eigene Faust angehen und sie schließlich tatsächlich retten können, das ist quasi Joseph Conrad für Jugendliche.

Währenddessen erleben Grainne und ihre Mutter eine ganz andere Art des Wiederfindens nach dem Verlorengehen. Natürlich steht zwischen ihnen die seit Jahren brennende Frage: Warum ist die Mutter weggegangen? Zunächst aber staunt die verschlossene Grainne, dass sie bei der ersten Begegnung einfach nichts empfindet. So fremd wie die Stimme ist ihr auch die Person und nur schwer finden sie Zugang zueinander. Wie Doyle beschreibt, wie nur ganz langsam und schmerzlich das Eis zwischen den Beiden bricht, das berührt tief und überzeugt mit jeder Zeile.

Wie viel einfacher hatten es doch die von Pubertätsproblemen noch unbelasteten Jungen mit ihrer verlorengegangenen Mutter und bei ihnen gab es auch keinen Kampf zwischen der erträumten Muttergestalt und den virulenten Rachegedanken. Auf eine einfache Formel gebracht, bleibt das Fazit: Erwachsene sind auch nur Menschen und ihre Probleme denen der Pubertierenden zuweilen gar nicht so unähnlich. Roddy Doyle hat daraus eine glänzend komponierte Geschichte gemacht, die nicht nur junge Leser ab etwa 12 Jahre fesseln wird.

 

# Roddy Doyle: Wildnis (aus dem Englischen von Andreas Steinhöfel); 207 Seiten; cbj Verlag, München; € 12,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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