S. S. MONTEFIORE: „KATHARINA DIE GROßE UND FÜRST POTEMKIN"

Der Hass von Zar Paul I. und der Neid vieler Zeitgenossen sorgten dafür, dass Fürst Grigori Alexejewitsch Potemkin (1739-1791) zwar als Liebhaber von Zarin Katharina der Großen und als zeitweise mächtiger Spieler im Machtgefüge des Russischen Reiches galt, vor allem aber als Abenteurer, Chaot und Erfinder der sogenannten Potemkinschen Dörfer berühmt wurde.

Wie weit die Verkennung der wahren Rolle und Bedeutung dieses Mannes tatsächlich war, belegt auf ebenso eindrucksvolle wie wunderbar zu lesende Weise die Doppelbiographie „Katharina die Große und Fürst Potemkin. Eine kaiserliche Affäre" von Simon Sebag Montefiore. Selbst dieser deutsche Titel schrammt am wirklichen Inhalt des Werkes vorbei, denn im Original lautet er „Prince of Princes" und in der Tat steht Potemkin als mindestens gleichberechtigt im Mittelpunkt.

Der britische Historiker und Russlandkenner widerlegt gleich reihenweise alte Legenden um den hünenhaften Feldmarschall, Staatsmann und Kolonisator und begründet seine vom bisherigen Bild teils erheblich abweichenden Erkenntnisse auf der gewohnt exzellenten Recherche. Hierbei erschloss er nicht nur umfangreiche bisher unbekannte und unveröffentlichte Dokumente, er las als äußerst aufschlussreiche Quellen auch die intimen Briefe zwischen der Zarin und dem Fürsten.

Dabei erweisen sich die Beiden als ebenso tatendurstige wie vom Eros beherrschte Menschen. Das führte einerseits zu einer einzigartigen Liebesbeziehung, die mutmaßlich 1774 sogar zur heimlichen Vermählung des Paares führte, das in jeder Beziehung sehr seelenverwandt war – allerdings konnte selbst der akribische Montefiore diese Heirat nicht endgültig verifizieren. Doch die beiden Sexhungrigen, die sich nach einer rund 18-monatigen „Hitzephase" auch wieder anderweitig unablässig mit Liebschaften vergnügten, waren in Fragen der Macht-ausübung und deren Erweiterung ebenfalls gewissermaßen „Zwillingsseelen". Sehr zum Nutzen des Reiches, das dank Potemkins überragender Fähigkeiten als Feldherr auf die doppelte Größe anwuchs.

Überhaupt schildert der Historiker ein überaus dynamisches Reich, das dank dieses Duumvirats der charismatischen Herrscherin und ihres kongenialen und offenbar noch faszinierenderen Partners massiv zur euopäischen Großmacht aufstieg. Während so deutlich wird, dass Potemkin statt des Spottes über seine Schwindeldörfer – die es nie gegeben hat! - ein Platz in der russischen Geschichte zukommt wie sonst nur noch seiner kaiserlichen Partnerin und dem Vorfahren Zar Peter der Große, zeichnet sich anhand des Briefwechsel eine außergewöhnliche Liebesgeschichte zwischen ihm und Katharina ab.

Die war sowohl leidenschaftlich wie auch ausgesprochen zärtlich und hielt trotz Unterbrechungen – unter anderem wegen neuer Eroberungskriege gen Süden – bis zu Potemkins Tod durch eine Epidemie an. Die zehn Jahre ältere Zarin erholte sich von dem Verlust dieser überlebensgroßen Liebesbeziehung nicht mehr und wurde in ihren letzten fünf Lebensjahren zur Autokratin mit schwindender Lebenskraft. Als Ergebnis der Recherchen und ihrer Verknüpfungen darf Potemkin als Mitherrscher angesehen werden und als Partner der Macht haben er und die Zarin eine Herrschaft über das Riesenreich ausgeübt wie nie jemand vor oder nach ihnen.

Wenn der Biograph bei aller Fülle der Ausführungen der politischen Gesamtsituation des Reiches weniger Aufmerksamkeit schenkt, so ist dies absolut verzeihlich angesichts der epochalen Größe der hier im Mittelpunkt der Erforschungen stehenden Persönlichkeiten. Und wüsste man es nicht besser, so könnte man dieses faszinierende Werk für ein Romanepos halten. Fazit: ein hochintelligenter Lesegenuss von geradezu barocker Pracht-entfaltung von einem Wissenschaftler, der sehr lebendig und fesselnd zu schreiben versteht.

 

# Simon Sebad Montefiore: Katharina die Große und Fürst Potemkin. Eine kaiserliche Affäre (aus dem Englischen von Bernd Rullkötter und Sabine Baumann); 790 Seiten, div. Abb.; S. Fischer Verlag, Frankfurt; € 24,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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