PABLO NERUDA: „"DIE GEDICHTE. Band 1 - 3"

Pablo Neruda (1904-1973) war der größte Dichter des 20. Jahrhunderts. Der Luchterhand Literaturverlag hatte sein gesamtes lyrisches Werk in der 80er Jahren in einem Sammelband herausgebracht, der jedoch längst vergriffen ist. Nun aber liegt eine Neuauflage vor und sie begeistert schon deshalb, weil sie um jene drei Zyklen des Literaturnobelpreisträgers von 1971 erweitert wurde, die erst in den 90er Jahren entdeckt wurden.

Die Gedichte. Band 1 – 3" ist die Sammlung schlicht betitelt und sämtliche Werke sind chronologisch nach ihrem Erscheinen aufgeführt. Deshalb beginnt das gewaltige Konvolut auch mit den einzigartigen „Balladen von den blauen Fenstern", die erst 1996 im Nachlass gefunden und dann 1997 unter dem Originaltitel „Die Schulhefte von Temuco" erstmals veröffentlicht wurden.

Dieser Titel war in der Tat wörtlich zu nehmen, denn die noch völlig unpolitischen Verse dieser 48 Gedichte hatte Neruda als gerade 15-jähriger Schüler verfasst. Im Mittelpunkt wie auch später so oft die Liebe und die Einsamkeit des Poeten, dessen Mutter bei der Geburt gestorben war. Die anderen spät entdeckten Zyklen „Hungrig bin ich, will deinen Mund" (1959) und „Beben des Meeres" (1970) sind ebenfalls gemäß ihrer Entstehung eingeordnet.

Damit geht der Reigen großartigster Dichtkunst, in der der chilenische Poet spätestens seit seinem ersten frühen Meisterwerk „Aufenthalt auf Erden (1925-1931) die Formen auflöste und freie Formen virtuos mit klassischen Formen vermischte, von einem Jugendgedicht wie der „Ballade von der traurigen Kindheit" bis zu „Schlendern mit Laforgue" aus dem 1974 posthum veröffentlichten Zyklus „Ausgewählte Mängel".

Wer ein wenig sucht, wird auch Nerudas Loblieder auf Stalin aus den frühen 50er Jahren finden (Zyklus „Die Trauben und der Wind") und die wurden ebenso unverändert übernommen wie die zahlreichen Übersetzungen durch namhafte DDR-Künstler wie Erich Arendt oder Stephan Hermlin. Mag der bekennende Kommunist Neruda hier auch eine nur dürftige Revidierung vorgenommen haben, so macht allein schon der grandiose „Canto General" („Der große Gesang") von 1959 auch diese Sünde wider den gesunden Menschenverstand allemal wett und unvergessen ist auch die kongeniale musikalische Umsetzung dieses genialen Zyklus durch den griechischen Komponisten Mikis Theodorakis Anfang der 70er Jahre.

Und als Verehrer einer Dichtkunst mit Oden von hinreißender Leidenschaft des Gefühls und einer unaufhörlichen schöpferischen Kraft der Worte, die von Ehrfurcht gebietender Schönheit ist, muss man geradezu dankbar sein, dass nichts verändert oder ausgelassen wurde. Festzustellen ist dazu, dass diese Sammlung keine kritische Ausgabe ist und weder Vor- noch Nachwort, dafür allerdings ein hilfreiches Register und eine Chronologie zu Leben und Werk des Dichters enthält. Zugleich macht ein gar nicht zu überschätzender Umstand diese Neuauflage so ungeheuer wertvoll: dass es sämtliche bis heute bekannten Gedichte Nerudas endlich in einem Konvolut gibt.

 

# Pablo Neruda: Die Gedichte. Band 1 – 3 (aus dem Spanischen von Fritz Rudolf Fries, Erich Arendt, Katja Hayek-Arendt, Stephan Hermlin, Fritz Vogelsang, Monika Lopez); 2922 Seiten, im Schuber; Luchterhand Literaturverlag, München; € 49,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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