NORBERT FREI u.a.: „FLICK"

Noch heute ist der Name Flick ein Synonym für kalten Kapitalismus, der nur nach Geld geht, obwohl es den Konzert seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr gibt. Als Flick-Enkelin Dagmar Ottmann eine Studie über Flick und sein System in Auftrag gab, verfassten die vier Historiker Norbert Frei, Ralf Ahrens, Jörg Osterloh und Tim Schanetzky in mehrjähriger Arbeit und unter Auswertung von über 200.000 Dokumenten ein Werk, das die Geschichte einer deutschen Industriedynastie samt ihrer engen Verflechtung mit der Politik schildert.

Flick. Der Konzern. Die Familie. Die Macht" lautet der Titel und er belegt bereits, dass dies nicht gezielt eine Biographie zu Friedrich Flick (1883-1972) ist. Ohnehin gibt es nicht viel Privates über den Selfmademann zu berichten, der schon früh dafür sorgte, dass er sein Bild in der wenig geschätzten Öffentlichkeit möglichst weitgehend selbst kontrollierte. Doch das war auch sonst seine Arbeitsweise, das diskrete Agieren im Hintergrund, das Strippenziehen mit Fleiß, Disziplin und einer Mischung aus taktischem Geschick, strategischem Weitblick und Skrupellosigkeit.

Der Sohn eines Siegerländer Holzhändlers studierte Betriebswirtschaft und brachte es schnell zum Chef der Charlottenhütte. Diese kleine Stahlfirma gehörte zu den Gewinnern im Ersten Weltkrieg, doch schon hier bleibt weitgehend im Verborgenen, wie Flick es vom leitenden Angestellten zum Hauptaktionär brachte. Mit 40 Jahren ging er nach Berlin und stieg unaufhaltsam in der deutschen Wirtschaftselite auf. Und der Mann, der nie selbst eine Firma gründete sondern Konzerne schmiedete, entwickelte sich bis Ende der 20er Jahre zu einem der mächtigsten Wirtschaftsführer.

1932 dann der erste Flick-Skandal mit der Gelsenberg-Affäre, als der Firmenlenker diesen Konzern überteuert an den Staat verscherbelte. Doch längst hatte er vorgesorgt durch reichliche Parteispenden und es kamen die Nazis an die Macht. Flick unterstützte Hitler, wurde 1937 Mitglied der NSDAP und zu seinen stets mit großem Nutzen gepflegten politischen Netzwerken zählte jetzt auch der „Freundeskreis Reichsführer-SS Heinrich Himmler". Als Kohle- und Stahlmagnat produzierte Flick nun vor allem Kriegswichtiges wie Panzer und Waffenteile. Zu den Sünden, die ihm später im Nürnberger Kriegsverbrechertribunal vorgeworfen wurden, gehörte die Ausbeutung von vielen 10.000 Zwangsarbeitern, aber auch sein skrupelloses Profitieren von den Arisierungen.

Flick gestand nie eine Schuld ein und hatte mangels strafrechtlich relevanter Beweise auch noch das Glück, nur zu sieben Jahren Haft verurteilt zu werden. Bereits 1950 wurde er begnadigt und er war trotz seiner jetzt 67 Jahre genau der richtige Mann für einen erneuten fulminanten Aufstieg. Mit viel Instinkt setzte er nach den von den Alliierten erzwungenen Firmenverkäufen nun auf die Autoindustrie und zog bald die Fäden bei Daimler-Benz und Auto-Union. Die Autoren widerlegen allerdings die Legende, Flick habe aus diesen beiden Unternehmen zusammen mit BMW einen Superkonzern für Automobile schmieden wollen.

Sein politischer Opportunismus und der skrupellose Einsatz wirtschaftlicher Macht aber blieben Konstanten eines der erneut mächtigsten Wirtschaftskapitäne, nun im Wirtschaftswunderland BRD. Auch weiterhin agierte er mit kaltem Durchsetzungswillen, viel Nervenstärke und ebensolcher Härte. Und dennoch entging der egozentrische Manipulator nicht einem tragischen Scheitern: dem großen Patriarchen, der so gar nichts Väterliches hatte, fand unter seinen Söhnen keinen adäquaten Nachfolger. Der einzig Fähige fiel im Krieg, mit dem älteren Otto-Ernst folgte in den späten Jahren ein spektakulärer, gerichtsnotorischer Bruch, wogegen Haupterbe Friedrich Karl Flick geradezu ein Gegensatz zu dem Machtmenschen war, der als der böse alte Mann der deutschen Wirtschaft ein dunkles Erbe hinterließ.

Immerhin war ihm vergönnt, weder die Erschütterungen der zweiten Flick-Affäre Anfang der 80er Jahre noch das endgültige Aus des Flick-Konzern durch Verkauf und Auflösung noch mitzuerleben. Fazit: eine spannende Wirtschaftsgeschichte des 20. Jahrhudnerts von geradezu romanhafter Farbigkeit und einem einzigartigen realen Personaltableau.

 

# Norbert Frei, Ralf Ahrens, Jörg Osterloh, Tim Schanetzky: Flick. Der Konzern. Die Familie, Die Macht; 912 Seiten, div. Abb.; Karl Blessing Verlag, München;

34,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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