DAVID FOSTER WALLACE: „UNENDLICHER SPASS"

David Foster Wallace galt als eines der größten Genies der jüngeren US-Literatur und sein Hauptwerk „Infinite Jest" von 1996 wurde zum Kultbuch. Vor einem Jahr erhängte sich der unter jahrelangen schweren Depressionen Leidende mit 46 Jahren und bis zu diesem Sommer dauerte es, bis Ulrich Blumenbach in sechsjähriger Schwerarbeit diesen „polyhistorischen Roman" ins Deutsche übersetzt hatte.

Der Titel „Unendlicher Spaß" ist durchaus korrekt übersetzt, doch weist die Originalwortwahl auf den Hofnarren (engl. „jester") hin und es gibt einen deutlichen Hinweis, dass Wallace Shakespeares „Hamlet" dabei im Sinn hatte: die in den Anmerkungen genannte fiktive Produktionsfirma „Poor Yorrick Entertainment Unlimi-ted", die jenen magisch zur beglückenden Verblödung führenden Film „Unendlicher Spaß" von James Incandenza herstellte, führt zum gleichnamigen Hofnarren aus ebendiesem Schauspiel.

Und so, wie das englische Theatergenie einst die Verrücktheiten der Welt auf die Bühne brachte, so gelang Wallace eine Irrsinns-Satire auf die nahe Zukunft der westlichen Welt. Diese fasst er in dem Staatenbund aus USA, Kanada und Mexiko zur Organisation Nordamerikanischer Staaten, kurz O.N.A.N., zusammen, die entsprechend eine onanistische Politik macht. In diese kaputte, depressionsgetränkte Welt führt als Ich-Erzähler der eben zehnjährige Hal Incandenza ein, Tennisgenie und hochintelligenter Sohn des Filmemachers, der wiederum Gründer der Enfield Tennis Academy ist, in die der Sohn nun eintreten will.

Während die Aufnahmeprüfung zur schrillen Farce wird, spielen ganz in der Nähe in einer Entziehungsklinik bei schrägen Zeitgenossen um den Ex-Knacki Don Drogen und Gewalt eine heftige Rolle. Die dritte Eben dagegen widmet sich Incandenzas Verblödungsfilm, hinter dessen Masterkopie ominöse Rollstuhlattentäter und andere Geheimdienstler her sind als geniale Waffe für Militär und Terroristen. Folglich wird brutal darum gekämpft, wie es ohnehin wenig zimperlich in diesem postmodernen Ritt durch eine Gegenwart zugeht, die unter Zeiteinteilungen wie dem „Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche" (das übrigens nach Vorgabe des Autors in etwa 2009 entspricht!) in die hirnrissige Welt gespuckt wird.

Geschrieben ist dieses überbordende Werk, als hätten sich Joyce und Kafka mit Hegel auf den Drogentrip begeben und eine Prise Pynchon darf auch nicht fehlen. Wie sehr Wallace auf schwere Medikamente angewiesen war, lassen die exzellenten Beschreibungen von Depressionen ebenso erahnen wie die Darstellung hyperrealistischer Wahrnehmungen. Alles wird hier subjektiv, die Perspektiven irrlichtern und die Flut der einzigartigen Sprachgewalt strotzt vor schwärzestem Humor, denn Spaß muss auch im Chaos sein und wer behauptet denn, Depressive hätten keinen Sinn für Witziges?!

Gleichwohl funkelt dieses rasante und von avantgardistischen Wortschöpfungen wie auch seltsamen Fremdwörtern durchsetzte Feuerwerk von Satzjuwelen hinreißender Magie, wenn zum Beispiel das frühreife Tennisgenie Hal im Innenmonolog erklärt: „Ich setze eine Miene auf, die als Lächeln verstanden werden will." Wogegen der immer wieder hart geprüfte Leser dann erneut von so Hochgestelztem düpiert wird, als solle ein Verstehen geradezu boshaft unterbunden werden. Der blankie Irrsinn blüht schließlich noch einmal zum finalen Anhang mit den Fußnoten auf, dessen „Anmerkungen und Errata" mit einer aberwitzigen Mixtur aus allerlei echten und erfundenen historischen, linguistischen und vor allem Drogenfakten aufwartet, wo einzelne sich als ganze Quasi-Kapitel mit bis zu 25 Seiten ausdehnen.

Nichts scheint in diesem Roman normal zu sein, gewissermaßen nach der Weisheit, dass, wer total normal ist, ohnehin nur ein Idiot sein kann. Was man David Foster Wallace ganz gewiss nicht nachsagen kann, eher, dass er sich mit diesem Monumentalwerk als ein Hofnarr der modernen westlichen Welt ein genialisches Epitaph geschaffen hat, als sei er ein dauerhaft zugedröhnter Shakespeare unserer Zeit. Fazit: ein seltsam schwieriges Buch voller raffinierter Wendungen, durchzogen von einem Schrei aus Verzweiflung an der allgegenwärtigen Vergnügungssucht – schwer zu konsumieren, das jedoch mit großem Gewinn.

 

# David Foster Wallace: Unendlicher Spaß (aus dem Amerikansichen von Ulrich Blumenbach); 1547 Seiten; Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln; € 39,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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