WOLFGANG HILBIG: „WERKE BAND 2. ERZÄHLUNGEN"

Die Erzählungen waren Wolfgang Hilbigs ganz große Kunst, in ihnen hatte er „seine" Form gefunden, kurz und hochkonzentriert. Und hier schuf er Werke, die in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur kaum ihresgleichen haben. In der Werkausgabe liegen sie nun unter dem Titel „Werke. Band 2: Erzählungen" vor.

Doch da begeistern nicht nur die meisterhaften, von poetischer Imagination und suggestiver Intensität geprägten bekannten Juwelen wie „Der Heizer" oder „Die elfte These über Feuerbach". Hatte schon Band 1 mit 150 noch unveröffentlichten Gedichten überrascht, werden die Leser hier nun mit 13 Texten aus dem Nachlass verwöhnt. Und tatsächlich führen auch diese Arbeiten wieder zurück zum Besten, das den literarisch so Sprachgewaltigen und persönlich so wortkargen scheuen Schriftsteller auf den Olymp der Literatur erhob.

In diesem gewaltigen Konvolut an Erzählungen und Kurzprosa, das der Büchner-Preisträger in dieser Konzeption noch selbst autorisierte, findet sich auch sein frühestes Werk „Weihnachtswald", dessen Originalfassung von 1960 er 1982 überarbeitete. War es hier noch der schuldbeladen emfpfundene Umgang mit der Mutter als junger Mann, lassen spätere Arbeiten aus den 60er Jahren seine Einsamkeit und das Fremdsein im eigenen Ich das überwältigende Verlangen nach Zärtlichkeit erahnen.

All die fesselnden und oft genug auch beklemmenden Erzählungen gipfeln schließlich in jenem letzten, bis dato unveröffentlichten Fragment „Die Nacht am Ende der Straße", von dem lediglich 15 Seiten Manuskript fertig geworden sind. Hier finden wir eine Antwort auf die Frage, warum Wolfgang Hilbig verstummte. Seit 2005 bis zu seinem Tod im Juni 2007 hat er daran gearbeitet und er führt den Leser zur „dämonischen Lüge" vom angeblichen Schreibenmüssen.

In dem Text lässt er den „Schriftsteller H." verspätet und allein in seiner Wohnung vom 11. September 2001 erfahren. Nur ein karger Satz fällt ihm zu dem im Fernsehen Gesehenen ein: „Das Chaos war unbeschreiblich." und H. wie Wolfgang Hilbig war es fortan nicht mehr möglich, irgendetwas zu „beschreiben". Von nun an galten für den wortlos Gewordenen nur noch die Sätze der Massenmedien: „H. fand keine anderen Sätze." Gegangen aber ist Hilbig als einer der bedeutendsten Dichter der Gegenwart – auch der zweite der auf sieben Bänden angelegte Werkausgabe stellt es eindrucksvoll unter Beweis.

 

# Wolfgang Hilbig: Werke Band 2: Erzählungen; 768 Seiten; S. Fischer Verlag, Frankfurt; € 26,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

Dieses Buch bei Amazon.de bestellen. 


Kennziffer: BEL 646 - © Wolfgang A. Niemann - www.Buchrezensionen-Online.de