LI DAWEI: „LOVE, REVOLUTION UND WIE KATER HAOHAO NACH HOLLYWOOD KAM"

Einen wahrhaft atemberaubenden Bogen vom China des 4. Juni 1989 über die Bohèhme-Zeit der 90er Jahre bis in die Gegenwart des modernen Wirtschaftsgiganten schlägt Li Dawei in seinem Roman „Love, Revolution und wie Kater Haohao nach Hollywood kam" - Ausflug in den glorreichen Westen inklusive.

Dazu steigt der 1963 in Peking geborene Journalist selbst als Ich-Erzähler ein und wird als Kunststudent und Comiczeichner so intensiv zum Protagonisten, dass Fiktives und Autobiographisches oft nicht mehr unterscheidbar sind. Was zugleich die wohltuende Freiheit in den ausufernden Schilderungen gibt, die der unpolitische Einzelgänger Dawei scheinbar naiv und doch auch hintersinnig mit teils beißender Ironie ausbreitet.

Kollektivismus ist ihm in jeder Form zuwider – was auch im China der späten 80er Jahre zuweilen problematisch werden kann – und dennoch wird er in die Massendemonstrationen für mehr Demokratie und gegen das korrupte Regime hineingezogen. Aber einmal mehr typisch für ihn: nicht aus politischer Überzeugung sondern weil er sich in die Studentenführerin Kleine Kim verliebt hat. Dadurch erlebt er schließlich ungewollt die blutige Niederschlagung der Proteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens am 4. Juni 1989 persönlich mit. Seine Liebste findet Dawei zwar nicht in der Panik, dafür nimmt er einen verstörten Kater mit nach Hause.

Dawei kommt vergleichsweise glimpflich davon, auch wenn er sein kleines unpolitisches Comicmagazin einstellen muss. Allmählich wird er zum Lebenskünstler, um sich durchzuschlagen, tanzt auf einem schmalen Grat zwischen vermeintlicher Regimetreue und Abweichlertum und er spielt dafür auf einer Klaviatur, die ihm Jobs einbringt bis hin zum Boulevardjournalisten - er kann nämlich gut mit Frauen. Allerdings sind manche Abenteuer dabei nicht ungefährlich.

Während Dawei einserseits viel in die Vergangenheit reflektiert und dabei mit immer wieder frappierender Offenheit und trockener Sachlichkeit krasse Ausfälle des Kommunismus wie jene abstruse Kulturreviolution, die Mao 1966 auslöste, und die mit ihren ebenso barbarischen wie intelligenzfeindlichen Machenschaften viel Kultur und noch mehr Menschlichkeit vernichtete, aufspießt, flüchtet er sich andererseits so übergangslos in seine Comicwelten, dass die Realität zuweilen zu verschwimmen scheint.

Und der Kater vom Platz des Himmlischen Friedens entwickelt ein überraschendes Eigenleben, denn er beginnt zu sprechen und will als „Haohao" - so sein Name, der übrigens „Kleine Maus" bedeutet! - eine Karriere nach seinem großen Vorbild Garfield machen. Wie „Papa" Dawei ihn dafür auf den rechten Weg bringt und der gewitzte Vierbeiner zum Hollywood-Star aufsteigt, ist wirklich schräg und dennoch erscheint die Realität des daheimgebliebenen Dawei im sich rasant wandelnden China mit seiner aberwitzigen Mixtur aus Beziehungen, rasanten Aufstiegs- und eklatanten Absturzgeschichten und das alles eingebettet in die Geflechte des gar nicht sehr hehren kommunistischen Systems nicht minder schräg.

Ein wahrlich außergewöhnlicher Blick auf die 20 Jahre seit dem Massaker auf dem Tienan'men-Platz, der dank der lakonischen unideologischen Sprache zu überzeugen vermag und durch moderne Comic-Zeichnungen des berühmten Künstlers Sheng Tao abgerundet wird.

 

# Li Dawei: Love, Revolution und wie Kater Haohao nach Hollywood kam (aus dem Amerikanischen von Anne Rademacher); 314 Seiten, ill.; Knaus Verlag, München;

€ 19,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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