YAROSLAV TROFIMOV: „ANSCHLAG AUF MEKKA"

So wie mit den Studentenaufständen von 1968 oder dem Zerbrechen des Eisernen Vorhangs 1989 gibt es immer wieder Jahre mit gleich mehreren einschneidenden Ereignissen mit Langzeitwirkung. Niemand wird bestreiten, dass auch 1979 dazugehört, das mit der iranischen Revolution der Mullahs begann, wo zwischendurch Saddam Hussein die Macht im Irak übernahm und das mit dem Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan endete.

Dabei ist besonders im Westen ein tatsächlich noch viel gravierenderes Ereignis kaum noch gegenwärtig, dessen Nachwirkungen das Weltgeschehen in ungleich gefährlicherer Weise dauerhaft beeinflusst: jener fatale Sturm vom 20. November 1979 auf die Große Moschee in Mekka, dem größten Heiligtum des Islam. Wenn dieser historische GAU damals so vergleichsweise geringe Beachtung fand, obwohl er in seiner Bedeutung der Vernichtung des World Trade Centers am 11. September 2001 nicht nachstand, dann war das unter anderem das Verdienst des saudischen Königshauses, das recht erfolgreich umgehend mit einer Nachrichtensperre reagierte. Und im Gegensatz zu heutigen Terroristen hatten die Angreifer 1979 noch nicht die technischen Möglichkeiten von Handys, Internet und Satellitenfernsehen.

Den ganzen Umfang der damaligen Vorgänge hat nun Yaroslav Trofimov recherchiert und schildert ihn in seinem Buch „Anschlag auf Mekka", das nicht von ungefähr den Untertitel trägt: „20. November 1979 – Die Geburtsstunde des islamistischen Terrors". Der US-Journalist hat dazu unter Hinweis auf den 'Freedom-of-information-act' bislang geheime Geheimdienstakten auswerten, aber auch hochrangige Zeitzeugen befragen können. Was er daraus beschreibt, liest sich wie ein spannender Polit-Thriller und ist doch erschreckende Realität mit täglich zu spürenden Folgen auch nach 30 Jahren - und ein Ende ist nicht abzusehen.

Der Zeitpunkt des Angriffs war der Beginn der Hadsch am Vorabend des 14. Jahrhunderts islamischer Zeitrechnung. Einige hundert schwerbewaffnete Rebellen besetzten die Große Moschee, wo sich rund 50.000 Pilgerer versammelt hatten. Angeführt von dem angeblichen neuen Mahdi Mohammad Abdullah, war jedoch der Beduinenführer Dschuheiman al-Uteibi als Chefideologe der eigentliche Drahtzieher dieser islamo-faschistischen Fanatiker. Sie forderten die sofortige Abkehr Saudi-Arabiens vom Westen und einen radikalen Umbruch in der gesamten islamischen Welt hin zu einer extrem konservativen, fundamentalistischen Ausrichtung.

Während das gedemütigte Königshaus um seine Rolle als Hüter und Bewahrer der heiligsten Stätten bangen musste und mit dem Kappen sämtlicher Informationsstränge nach außen geistesgegenwärtig in der ersten Panik einen extrem wichtigen Schritt tat, wurde die Wiederherstellung der Ordnung ein beschämendes Desaster. Zunächst mussten die obersten Religionsgerichte überhaupt zulassen, dass mit Waffengewalt gegen die Aufrührer vorgegangen werden durfte. Dann erwiesen sich die Einsatzkräfte als schlecht informiert über die örtlichen Gegebenheiten und nach blutigen Verlusten gelang es erst nach zwei Wochen und mit Hilfe französischer Antiterrorspezialisten, die Belagerung zu beenden. Sie kostete hunderte von Menschenleben auf beiden Seiten und die lebend gefassten 63 Aufrührer wurden später öffentlich enthauptet, unter ihnen auch Anführer Dschunheiman.

Zu den ganz großen Missverständnissen gerade in der westlichen Welt gehören bei diesem historischen Ereignis die bis heute vorherrschenden Fehleinschätzungen. So schätzten der durch die Besetzung der US-Botschaft in Teheran bereits gedemütigte gedemütigte Präsident Jimmy Carter und seine Berater den Anschlag als Angriff mit schiitisch-iranischem Hintergrund, während es in wahrheit sunnitische Fanatiker mit saudi-arabischen Wurzeln waren. Und während das saudische Königshaus den Frieden vor allem damit wiederherstellte, dass es viele Positionen der Fanatiker übernahm und damit die Uhren im Lande wieder weit zurückstellte, förderten die Amerikaner neben Saddam Hussein auch jene sunnitischen Dschihadisten, die in Afghanistan die Sowjets bekämpften und vom selben Holze waren wie die Fundamentalisten in Mekka.

Noch heute sind die Vorgänge in Saudi-Arabien tabu, dabei waren sie genau der Weckruf, der Entwicklungen wie al-Quaida und den globalen Dschihad mit ihren massiven Bedrohungen von Demokratie und Menschenrechten einläuteten. Trofimov legt all dies wie auch die Ausgangssituation gut verständlich dar. Fazit: ein höchst wichtiges Buch, das wahrhaft frösteln lässt.

 

# Yaroslav Trofimov: Anschlag auf Mekka. 20. November 1979 – Die Geburtsstunde des islamistischen Terrorismus (aus dem Amerikanischen von Helmut Dierlamm); 384 Seiten, div. Abb.; Karl Blessing Verlag, München; € 19,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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