GIL ADAMSON: „IN WEITER FERNE DIE HUNDE"

Einen sensationellen Debütroman legt die kanadische Autorin Gil Adamson mit „In weiter Ferne die Hunde" vor, einer Art Westernthriller von der Art, als hätte Cormac McCarthy eine Frau in den Mittelpunkt einer seiner packenden Geschichten um einsame Helden gestellt und die Szenerie in die raue Landschaft im Grenzgebiet zwischen Kanada und Montana verlegt.

Von den ersten Zeilen an bannt diese Odyssee, wenn Männer mit Hunden eine junge Frau durch die Wälder jagen. Es ist eine düstere Nacht im Jahr 1903 und über die rätselhafte Gejagte heißt es: „Neunzehn Jahre und schon Witwe. Mary Boulton. Witwe durch eigene Hand." Die gnadenlosen Jäger sind die Zwillingsbrüder ihres Mannes, den sie getötet hat, und die treiben sie immer weiter in die lebensfeindlichen Wälder, wo Kälte, Hunger und wilde Tiere lauern.

Der Autorin gelingt das Kunststück, hohe Spannung aufzubauen, eine Atmosphäre ständiger Bedrohung, und dennoch all das Geheimnisvolle der jungen Frau nur in kleinen Portionen zu offenbaren. Mary, die fast durchgehend noch zusätzlich ihrer Identität als Frau und Mensch beraubt wird, indem sie nur als „die Witwe" bezeichnet wird, hat trotz ihres mutmaßlichen Verbrechens die Sympathie des Lesers. Dabei wird sie nicht nur durch die geisterhaften und doch so realen Zwillinge verfolgt, sondern auch durch die Gespenster im Innern. Ja, sie hat ihren ungetreuen Ehemann angeschossen und sterben lassen, ja, sie hat ihr neugeborenes kränkliches Kind verloren.

Ungleich bedrückender als die lähmenden Depressionen jedoch ist diese feindliche Wildnis, für die sie ganz und gar nicht gemacht ist als Tochter aus bürgerlichem Hause. Aber auch dort hatte das Leben es nie gut mit ihr gemeint, denn der Vater, ein Kirchenmann, verfiel nach dem frühen Tod der Ehefrau in Depressionen und schob die blutjunge Tochter ab in die Ehe mit dem Tunichtgut John. Ausgerechnet in den wilden Rocky Mountains, zerschlissen, fast von Sinnen vor Angst und vor Hunger bereits delierend, begegnet ihr zum ersten Mal im Leben ein Mensch, der ihr etwas von der stets entbehrten Zuwendung gibt: der „Gratläufer", ein exzentrischer Einzelgänger, der seit Jahren in den Wäldern haust. Nach einigen leidenschaftlichen Nächten in seinem Zelt flieht er jedoch vor den berstenden Emotionen und seine tiefsitzende Menschenschau stürzt Mary in weiteres Unglück.

Allmählich auch erfährt man immer mehr Bruchstücke ihres kargen Lebens, während sie auf der Flucht in das Minenstädtchen Frank kommt und eine Schar skurriler Gestalten gerät. Ausgerechnet in dieser unwirklichen Gesellschaft findet sie eine trügerische Phase des Aufatmens und in dem schrägen Reverend Bonnycastle, bei dem sie sich als Haushälterin einnistet, sogar einen Menschen, dem sie vertrauen mag. Diesmal ist es eine Naturkatastrophe, die die fragile Ruhe zerstört, doch auch die unermüdlichen rachsüchtigen Zwillinge rücken ihr wieder näher, nachdem sie sogar einen Fährtenleser angeheuert haben.

Es soll hier nicht verraten werden, ob und wie Mary Boulton diese wahnwitzige Odyssee übersteht, die sie durch eine fremde, unberechenbare Welt führt, wo nirgends Heimat ist und niemand Heimat kennt. Das Alles ist verstörend, ungemein spannend und geht mit seiner dichten Atmosphäre, den bewegenden Emotionen und den grandiosen Naturbeschreibungen tief unter die Haut. Gil Adamson hat fast zehn Jahre an diesem Roman geschrieben, herausgekommen ist ein Meisterwerk mit präzisen Charakterzeichnungen, dem ganzen Sprachzauber der bereits preisgekrönten Lyrikerin und einer ebenso einzigartigen wie glaubhaft geschilderten Geschichte auf hohem literarischen Niveau.

 

# Gil Adamson: In weiter Ferne die Hunde (aus dem Englischen von Maria Andres); 383 Seiten; C. Bertelsmann Verlag, München; € 19,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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