CARLA DEL PONTE: „IM NAMEN DER ANKLAGE"

Schon von Kindheit an zur Wahrheitsliebe erzogen, wurde die 1947 im schweizerischen Tessin geborene Carla del Ponte bereits als junge Juristin zur kompromisslosen Staatsanwältin, die mit dem später ermordeten italienischen Richter Giovanni Falcone zusammen gegen die Mafia arbeitete und 1989 selbst nur knapp einem Sprengstoffanschlag entging.

Mit ihrer Unerschrockenheit war die Karrierejuristin dann 1999 wohl die Idealbesetzung, als ein Nachfolger für Louise Arbour als Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofes der UNO in Den Haag für Ruanda und das ehemalige Jugoslawien gesucht wurde. Diese von Selbstzweifeln unbelastete Kratzbürste war genau die Stimme und das Gesicht, das das bis dato nur bedingt ernstgenommene Gericht dringend benötigte, um Gewicht und Popularität ähnlich einem Nürnberger Gerichtshof für die Großverbrechen der Gegenwart zu erlangen.

So medienwirksam, wie sie stets als Anklägerin auftrat und sich mit ihrer impulsiven Angriffslust auch vor eigener Unbeliebtheit nicht scheute, hat sie nun mit Unterstützung von Chuck Sudetic, einst Balkan-Korrespondent der „New York Times" ihre Memoiren veröffentlicht. „Im Namen der Anklage" ist das wuchtige Buch überschrieben. Die scharfzüngige Chef-Anklägerin, die bis zu ihrem Rücktritt Anfang 2008 immerhin für die Verurteilung von 63 Angeklagten sorgte und Slobodan Milosevic als wichtigsten Drahtzieher der übelsten Massenverbrechen auf europäischem Boden seit dem Zweiten Weltkrieg nur deshalb nicht endgültig einer halbwegs gerechten Strafe zuführen konnte, weil der 2006 noch während des Prozesses verstarb.

Völkermord und Kriegsverbrechen wie in Ruanda – die Zuständigkeit dafür hatte sie nur bis 2003 – und für den Balkan mit Schlächtereien wie dem Massaker von Srebrenica konnte sie zumindest teilweise vor dem Tribunal ahnden und auch angesichts der begrenzten Möglichkeiten ist sie überzeugt: „Es ist wichtig, dass wir versuchen, doch 'etwas Justiz zu machen'." Damit einher gehen scharfe Angriffe auf die sogenannte Gummiwand, aufgebaut durch die Verweigerungshaltung vieler mächtiger Kreise zum Beispiel bei der Suche nach den Massenmördern Karadzic und Mladic. So führt sie überaus peinliche Enthüllungen über ihre Gespräche mit ranghohen Politikern Serbiens, der EU und der USA bis hin zu Vertretern des Vatikan an, die ihre Arbeit oft genug regelrecht unterliefen.

Wenn es ein Manko an diesen Memoiren gibt, dann ist es Carla del Pontes Hang zur Selbstgefälligkeit, den schon der Untertitel „Meine Jagd auf Kriegsverbrecher und die Suche nach Gerechtigkeit" anklingen lässt. Da war es seitens ihrer Schweizer Heimat sicher ein geschickter Schachzug, sie zur Botschafterin in Argentinien zu ernennen – als Diplomatin darf sie über ihr eigenes Buch nicht öffentlich diskutieren! Spannend und sehr erhellend aber ist es allemal und die mutige Kämpferin hat gewiss recht, wenn sie sagt, nur mit Stärke, Willenskraft und Risikobereitschaft sei es möglich, Verbrecher einer gerechten Strafe zuzuführen, die als Politiker oder Militärs glauben, über dem Gesetz zu stehen.

 

 

# Carla del Ponte: Im Namen der Anklage. Meine Jagd auf Kriegsverbrecher und die Suche nach Gerechtigkeit (aus dem Englischen von Gabriele Gockel und Thomas Wollermann); 518 Seiten; S. Fischer Verlag, Frankfurt;

€ 22,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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