ANATOL REGNIER: „FRANK WEDEKIND. EINE MÄNNERTRAGÖDIE"

Frank Wedekind (1864-1918) war zu Lebzeiten ein Rätsel für seine Mitmenschen und er ist es bis heute geblieben. Einerseits ein großer provokanter Schriftsteller, andererseits von seinen sexuellen Obsessionen gesteuert, litt der selbstzerstörerische Misanthrop an sich selbst ähnlich, wie Freunde und Partnerinnen an ihm. Seine tiefsten Ängste aber waren die vor der von ihm als bedrohlich empfundenen männervernichtenden Lustfähigkeit der dennoch von ihm so begehrten Frauen.

Ein gutes Stück Aufklärung bietet nun sein Enkel Anatol Regnier mit der Biografie „Frank Wedekind. Eine Männertragödie". Besonders erhellend sind die wissenschaftlich sachlichen Ausführungen des Nachfahren schon deshalb, weil Regnier zahlreiche Quellen nutzen konnte, die aus dem familiären Nachlass stammen und hier erstmals publiziert werden. Auch Regniers Deutungen erfahren dadurch ein entscheidendes Maß an Authentizität, wenn er zum Beispiel zu Beginn die Kindheit und Familie des umstrittenen Künstlers beleuchtet und als wesentlichen Auslöser der rastlosen und höchst widersprüchlichen Persönlichkeit wertet.

Die Ehe zwischen dem ältlich verqueren Vater und der lebenslustigen jungen Mutter war unglücklich und die Gefühle des Benjamin Franklin Wedekind waren entsprechend verteilt, bis hin zum schweren Zerwürfnis zwischen Vater und Sohn, dessen erste Liebschaft als Jüngling dann auch typischerweise eine 40-jährige Dame war. Früh erweist sich aber auch ein hohes schriftstellerisches Talent, das einerseits intensiv von seinen Trieben durchdrungen ist und andererseits auch eine so scharfkantige politische Seite kannte, dass er als Mitbegründer des Satiremagazins „Simplicissimus" sogar eine Gefängnisstrafe wegen Majestätsbeleidigung absitzen musste.

Wesentlich durchdrungen ist die bewegte und selten glückliche Vita Wedekinds vom steten Begehren und schon früh entsteht in Monaten des Pariser Lotterlebens die Idee zur berühmt-berüchtigten Kunstfigur der Lulu und sein Urteil steht früh fest: „Kein Mann kann wissen, was eine Frau empfindet." Sein Streben nach Anerkennung ist von vielen Niederlagen und Zurückweisungen geprägt, wobei er immer wieder auch selbst durch sein Verhalten die Schuld daran trägt.

Es ist der große Max Reinhardt, der seinem „Frühlings Erwachen" und Wedekind als Stückeschreiber erst spät zum Durchbruch verhilft – auch gegenüber der immer wieder drohenden Zensur. Zugleich beginnt nun die konfliktbeladene Beziehung zu Tilly Newes, 21 Jahre jünger als er und in manchem quasi nicht nur auf der Bühne die Verkörperung seiner Lulu. Diesen letzten zwölf Jahren Wedekinds widmet Regnier ein Drittel des Buches und er eröffnet einen neuen Blick auf den äußerst komplexen Literaten, der an sich selbst und seinen Obsessionen unentrinnbar litt, aber auch an einer Zeit, die in ihren bigotten Moralvorstellungen einen solch notorischen Tabubrecher einfach nicht dulden konnte.

Fazit: nachdem Anatol Regnier bereits mit seinem Buch „Du auf deinem höchsten Dach" über Tilly Wedekind und ihre Töchter Pamela und Kadidja ein glänzendes Porträt der Künstlerfamilie zeichnete, hellt er in dieser spannend geschriebenen Biografie vieles von der Rätselhaftigkeit eines der meistgespielten deutschsprachigen Bühneautoren in überzeugender Weise auf.

 

# Anatol Regnier: Frank Wedekind. Eine Männertragödie; 464 Seiten, div. Abb.; Knaus Verlag, München; € 22,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

Dieses Buch bei Amazon.de bestellen. 


Kennziffer: Bio 239 - © Wolfgang A. Niemann - www.Buchrezensionen-Online.de