ASKOLD MELNYCZUK: „DAS WITWENHAUS"

James Pak ist ein junger Historiker aus Boston mit ukrainischen Vorfahren. 1990 hatte er eine Schachtel mit alten Briefen gefunden, die offenbarten, dass Vera, seine Großmutter, gar nicht gestorben war, wie sein Vater immer behauptet hatte. Eine Antwort auf seine Fragen bekommt er jedoch nicht mehr, denn Vater Andrew bringt sich vorher um.

„Das Witwenhaus" heißt Askold Melnyczuks Roman, in dem er diesen James nun viele Jahre später auf die Suche nach der Wahrheit und zu seinen Wurzeln schickt. Aufbewahrt von den Hinterlassenschaften seines Vaters hat er nur einen britischen Militärausweis, ein großes Gurkenglas und einen Brief in einer Sprache, die er nicht lesen kann. Alle drei sind sie Schlüssel zur Vergangenheit, doch bis sich diese Geheimnisse weitgehend offenbaren, hat sich der Bericht des Ich-Erzählers längst zum Thriller entwickelt.

James nimmt einen Job in Europa an, um seine Recherchen vor Ort ausdehnen zu können, und sie führen ihn nach Oxford, nach Rom und Wien und schließlich nach Kiew. Tatsächlich findet er Angehörige und erfährt verschwiegene Wahrheiten von schmerzlich düsteren Schicksalen, wie sie Stalinismus und Zweiter Weltkrieg mannigfach formten. So war sein Vater in den 30er Jahren als Kind von der Mutter nach England zur Adoption abgeschoben worden.

Großmutter Vera jedoch war weder ärmlich noch starb sie früh, sie war vielmehr höchst geschäftstüchtig mit dem Betrieb eines Luxuspuffs mit dem titelgebenden Namen „Das Witwenhaus". Sie wie auch die beiden anderen Söhne, James' Onkels, waren offenbar gleichermaßen umtriebig und in dunkle Geschäfte verwickelt und der nichtsahnende Neffe wird mit den als völlig selbstverständlich betriebenen Geschäften mit Waffen, Menschen und Prostituion konfrontiert.

Zugleich eröffnen sich nach und nach auf beklemmende Weise auch die Geheimnisse der drei Hinterlassenschaften, wobei besonders der Brief zu Herzen gehende Erinnerungen aufreißt. Ohnehin ist diese glänzend geschriebene Geschichte mit immer neuen Szenen und vielen sätzen, die tief unter die Haut gehen, kein sehr frohgemuter Roman. Dazu schreitet dieses große Buch über Väter und Söhne und den oft brutal unsentimentalen Umgang mit der Menschlichkeit in den Verwerfungen der Nachkriegszeit zu sehr durch düstere Täler. Dies jedoch mit einer Realitätsnähe, die lange nachhallt.

 

 

# Askold Melnyczuk: Das Witwenhaus (aus dem Amerikansichen von Andrea Marenzeller und Martin Amanshauser); 319 Seiten; Deuticke Verlag, Wien;

€ 19,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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