SALMAN RUSHDIE: „DIE BEZAUBERNDE FLORENTINERIN"

Ein Märchen vor historischem Hintergrund, eine abenteuerliche Romanze und das alles orientalisch und fernöstlich in der Zeit von Mogulkaiser Akbar dem Großen im späten 16. Jahrhundert spielend – damit kehrt Salman Rushdie als Meister des Fabulierens in seinem zehnten Roman zu den Wurzeln seines Ruhmes zurück.

„Die bezaubernde Florentinerin" heißt das wunderschöne und dennoch auch spannende Werk. Dessen erstes Drittel stellt den rätselhaften Schelmen Niccolo Vespucci in den Mittelpunkt, der 1572 als junger Abenteurer an den neuen Palast Akbars im indischen Fatehpur Sikri kommt und den mächtigen Herrscher mit seinen vielfältigen Talenten so fasziniert, dass der ihn zwei Jahre lang am Hof behält. Akbar ist ein Herrscher, der als Kriegsherr zwar ebenso grausam wie erfolgreich war, aber auch ein Grübler, Philosoph und Träumer. Was so weit ging, dass er sich sogar seine über alles geliebte Prinzessin Jodha aus der eigenen Fantasie erschuf, damit sie einmalig sei und perfekt seinen Vorstellungen entspreche.

Vespucci aber verblüfft Akbar damit, dass er eigentlich ein Onkel des deutlich älteren Moguls sei und „Mogul der Liebe" genannt werde. Er überzeugt den ihm väterlich zugetanen Akbar mit einer verwegenen Geschichte von Qara Köz – auf Deutsch „Schwarzauge" - der titelgebenden bezaubernden Florentinerin. Diese auch der Magie mächtige schönste aller Frauen sei jedoch keineswegs von italienischer Herkunft gewesen sondern die Schwester von Akbars Großvater, dem Timuridenfürst Babur. Sie, die sich selbst als „eine Frau für Paläste" bezeichnete, habe dann von einem Mächtigen bis zum nächsten noch Mächtigeren bis in den Westen geheiratet.

So habe ihr bewegter Lebensweg schließlich an der Seite des Feldherrn Argilia nach Florenz und am Ende nach Amerika geführt, wo er, der Abenteurer aus dem Westen, ihrer Verbindung mit einem Verwandten des Amerigo Vespucci entsprungen sei, der dem neuen Kontinent den Namen gab. Akbar aber ist so betört von Vespuccis allnächtlichen Berichten, dass Schwarzauge schließlich die ebenso imaginäre Jodha als seine Geliebte verdrängt und sie für ihn zu einem Wesen aus Fleisch und Blut wird.

Nun führt das Geschehen zurück zu den hinreißenden Erlebnissen der wundersamen Schönheit, die als Qara Köz und zuletzt als Angelika einen Feldherrn und Eroberer nach dem anderen gewinnt und den jeweils unterlegenen dahinfahren lässt. Stets an ihrer Seite ist dabei Spiegel, die ihr Schatten und zugleich ihre Sklavin und ihr Pendant ist. Doch diese schwindelerregende Romanze handelt wie die in vielem so ähnlichen Geschichten von 1001 Nacht von weit mehr als nur von Liebe, Eifersucht, Hass und Verrat. Es geht auch um Macht und Herrschaft, Akbar grübelt in tiefsinniger Weise über Aberglauben, Religion, das Gute an sich und er offenbart sich als zutiefst widersprüchlicher Geist.

Rushdies üppiger Bilderbogen vor realem historischem Hintergrund eröffnet jedoch auch einen anderen, seiner eigenen indischen Herkunft entspringenden Blick auf die Welt, in der es quasi zwei Renaissancen zur gleichen Zeit gab: jene in Italien, aber auch jene auf dem indischen Subkontinent. Und er zeigt auf, dass Glaubensfanatismus und Despotismus ebenso wenig eine Spezialität des Osten waren wie Aufklärung und Humanismus Errungenschaften des Abendlandes. Der Fluch der menschlichen Rasse sei weniger, dass die Menschen so unterschiedlich sind als vielmehr, dass sie einander so gleich sind.

Wie kaum ein anderer Autor versteht es Rushdie einmal mehr, dem üppigen Szenario seiner von sinnlicher Fantasie und hinreißend gezeichneten Charakteren übersprudelnden Geschichte durch feinsinnige und zuweilen höchst kontroverse Gedanken jene Tiefe zu verleihen, die aus dem lustvoll erfundenen Märchen einen ernstzunehmenden Roman machen. Wenn die Reise dann auch an die afrikanische Küste, auf die Schlachtfelder des Orients und in die Neue Welt geht und dabei außerdem auch noch illustre Persönlichkeiten wie Macchiavelli, Admiral Andrea Doria und der historische Graf Dracula in Nebenrollen mitwirken, ist ein opulentes Lesevergnügen auf höchstem Sprachniveau garantiert.

 

 

# Salman Rushdie: Die bezaubernde Florentinerin (aus dem Englischen von Bernhard Robben); 440 Seiten; Rowohlt Verlag, Reinbek; € 19,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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