PHILIP NORMAN: „JOHN LENNON. DIE BIOGRAPHIE"

John Lennon war kompliziert, sarkastisch, charmant, ein ewiger Provozierer und wurde mit 40 Jahren In New York von einem Geisteskranken erschossen. John Lennon gründete die Beatles, ohne die die Jugendrevolution der 60er Jahre kaum denkbar wäre. Er war einer der größten und einflussreichsten Künstler des 20. Jahrhunderts und eine Legende ist er auch heute noch.

Biographien gibt es bereits etliche über ihn, doch eine solch detaillierte, exzellent recherchierte und von hoher Sachkenntnis geprägte wie die großvolumige von Philip Norman gab es noch nie. Nachdem er bereits 1981 die vielbeachtete Beatles-Biographie „Shout" vorlegte, füllt er jetzt mit „John Lennon. Die Biographie" nicht nur manche bisherigen Lücken sondern beleuchtet die überaus schillernde Persönlichkeit Lennons insgesamt mit einzigartiger Präzision.

Natürlich kann man Lennons Vita nicht ohne die so wichtigen Beatles-Jahre schildern, gleichwohl gilt es, die Schwierigekeiten, Ausraster und Exzesse, die sich schon in der wilden Anfangszeit in Hamburg auftaten und auch später innerhalb und außerhalb der Beatles teils heftige Probleme aufwarfen, einordnen, ja, verstehen zu können. Dazu geht Norman den verdienstvollen Weg bis in die Vorgeschichte Johns zurück, zeigt die ganze arg unordentliche Familiengeschichte auf.

Der chaotischen Ehegeschichte von Alfred und Julia Lennon, die sich aufgrund des Seemannsberufes des in der Familie unerwünschten Ehemannes nie zu einer echten Gemeinschaft entwickeln konnte, folgte die Trennung im Jahre 1946. Für John geriet sie zur ersten seelischen Katastrophe, denn man stellte den Sechsjährigen vor die unmenschliche Entscheidung, mit dem Vater in die Ferne zu gehen oder bei der Mutter zu bleiben. Erst als Erwachsener erfuhr John, dass sein Vater nicht der vermeintliche Haderlump war, der ihn schnöde verließ, vielmehr hatte der schweren Herzens erkannt, dass die Mutter dem Kleinen wohl die bessere Obhut bieten können würde.

Trennungsgrund aber war nicht Alfreds Unzuverlässigkeit sondern Julias Schwangerschaft von einem anderen Mann. Und für John folgte der nächste Trennungsschock, als die Mutter ihn schon bald dauerhaft in die strenge Fürsorge seiner Tante Mimi übergab. Die nächste Katastrophe erlebt John dann als Teenager. Endlich gab es eine Widerannäherung mit der sehr vermissten Mutter, in die sich der Pubertierende regelrecht verliebte, bis hin zu erotischen Gedanken.

Wenn dies in einigen Medien als ödipale Macke ausgewalzt wird, muss man dies eher als unsinniges Überinterpretieren werten. Einerseits war Julia Lennon mit Anfang 40 ausgesprochen attraktiv, andererseits sind solche Begierden auch bei weniger belasteten Pubertierenden nicht ungewöhnlich. Um so dramatischer musste sich dann auswirken, dass die gerade wiedergefundene Nähe zur Mutter am 15. Juli 1958 brutal durch einen tödlichen Verkehrsunfall zerstört wurde – mit nie völlig überwundenen seelischen Wunden bei dem damals 17-Jährigen. Die nicht zur Entschuldigung für manche späteren Entgleisungen und oft folgenreichen Fehlverhalten dienen, diese aber recht gut zu erklären vermögen.

Die ausführliche und sehr detaillierte Beschreibung dieser prägenden Jahre ist eine entscheidende Grundlage für das Verständnis für sämtliche Entwicklungen, für Johns Schwanken zwischen Aggressivität und Dominanz gegenüber seiner grundlegenden Unsicherheit und steten Selbstzweifeln. Autor Norman fasst es in einer genialen Metapher zusammen: „Und so blieben der Schock und der Schmerz, die Julias Tod in John ausgelöst hatten, wie ein jaulender Flaschengeist eingesperrt und bahnten sich erst ein Jahrzehnt später ihren Weg ins Freie."

Hinreißend schildert der Autor dann den faszinierenden Aufstieg des charismatischen Quartetts, dessen Riesenerfolg auch dank mancher glücklichen Fügung und der beiden kongenialen Mitstreiter, des Managers Brian Epstein und des Produzenten George Martin, gelang. Doch weitere Verluste verdüstern Johns ohnehin geschundene Psyche, denn noch in Hamburg verliert er seinen engsten Freund Stu Sutcliff durch eine Hirnblutung und 1967 durch Epsteins mutmaßlichen Selbstmord auch noch den väterlichen Freund, übrigens ähnlich kompliziert und oft unglücklich wie Lennon selbst.

Aber Norman deckt auch Johns düstere Seiten auf, das Ausrasten unter Alkohol, die schlechte Ehe mit der unglücklichen Cynthia, dass er sich kaum um seinen Sohn Julian kümmerte, dass er wiederwärtig selbst zu sehr Nahestehenden sein konnte. Um so faszinierender liest sich der Zusammenhalt der Beatles über Jahre hinweg,, und hier insbesondere die wahrhaft kongeniale Zusammenarbeit beim Songschreiben mit Paul McCartney. Mit dem er sich zu Beginn schon deshalb auf Anhieb verstand, weil der ein Jahr vor John seine Mutter durch Krebs verloren hatte.

Wie die Beatles-Story dann wieder aufs Eindringlichste von deren Gründer John geprägt wurde, bringt neue Aspekte ins Spiel, denn es war offenbar nicht so, dass die anderen Drei Yoko Ono feindlich gegenüberstanden. Erstaunlich ist vielmehr ihre Toleranz, als John seine Geliebte 1968 mit ins Aufnahmestudio bringt und quasi allen Ernstes die Beatles um Yoko erweitern wollte. Die Vergiftung des bisherigen Zusammenhalts geschah vielmehr in erster Linie durch ihn. Es folgen Passagen des Auseinanderbrechens wie auch der kommerziellen Auseinandersetzungen.

Für John aber folgt vor allem ein neues Leben mit Yoko, von der sagt: „Yoko ist die einzige Frau, die in jeder Hinsicht meinesgleichen ist. Meine bessere Hälfte im wahrsten Sinne des Wortes." Und trotz weiterer Achterbahnfahrten der Irrungen und Wirrungen erlebt er für einige Jahre das wohl erste richtige private Glück.

Auch dies lotet der Biograph mit wohltuender Sachlichkeit aus und die angesichts des gewaltigen Volumens marginalen ins Spekulative abdriftenden Vermutungen über sexulle Verfehlungen mögen zwar in einigen Medien zu unnötigen Aufbauschungen führen, die hohe Qualität dieser romanhaft flüssig zu lesenden Biographie können sie nicht beeinträchtigen. Das umfassende Werk ist im Übrigen nicht nur für Lennon- und Beatles-Fans ein absolutes Muss, es ist zugleich ein hervorragendes Stück Kultur- und Zeitgeschichte der 60er und 70er Jahre, die von den Beatles und hier insbesondere von John Lennon mitgeprägt wurden.

 

# Philip Norman: John Lennon. Die Biographie (aus dem Englischen von Reinhard Kreissl); 1022 Seiten, div. Abb.; Droemer Verlag, München; € 29,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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