PAULA WALL: „WILDE SCHWESTERN"

In der Kleinstadt Five Point im stets etwas hinterwäldlerischen Tennessee haben die Frauen der Familie Wilde schon seit Generationen einen gewissen Ruf. Sie gelten als unbezähmbar, als perfekte Verführerinnen und als überaus eigenwillig. Das gilt auch für Pearl und Kat, nur ein Jahr auseinander, beide bildschön mit nachtschwarzem Haar und lodernd blauen Augen und dabei verschieden wie Feuer und Wasser.

Stets nur den Weg des größtmöglichen Widerstandes gehend und mit einem fatalen Hang zu möglichst ungebärdigen Männern, passiert es ausgerechnet Pearl, dass sie ihren Verlobten Bourne eines Tages in flagranti mit Kat erwischt. Wutentbrannt setzt sie sich noch am selben Tag in den Zug und verschwindet. Die einzigen Lebenszeichen bleiben für Jahre vereinzelte hasserfüllte Grußkarten aus aller Welt an die Schwester.

Das ist der fulminante Einstieg in Paula Walls neuen Roman „Wilde Schwestern", der Anfang der 30er Jahre spielt. Auch Five Point leidet schwer unter der Depression nach dem Schwarzen Freitag von 1929 und die meisten Leute schuften hart auf den wenigen verbliebenen Arbeitsplätzen oder schlagen sich lethargisch so durchs Leben. In diese Tristesse platzt nach drei Jahren Pearl, die in der Fremde zu Wohlstand gekommen ist und viel Lebenserfahrung gesammelt hat. Mit Beidem zusammen will sie in ihrer Heimatstadt ein Freudenhaus eröffnen!

Der Aufruhr über diesen Affront legt sich recht schnell, denn die Herrichtung der alten viktorianischen Villa auf dem Dog Leg Hill schafft Jobs für viele der arbeitslosen Männer. Zugleich müssen sich deren Frauen nicht sorgen, denn es soll ein Edelbordell werden und dessen Damen können sich ohnehin nur Betuchte leisten, wobei es selbst für die heißt: Zutritt nur für Mitglieder! In diesen Zeiten von Präsident Roosevelts glorreichem New Deal zur Wiederbelebung der Wirtschaft wirbelt Pearl mit ihrem New Deal der besonderen Art wie ein göttlicher (oder teuflischer?!) Hauch segenbringend durch den Ort und selbst der Stadtrat erkennt die einmalige Chance: Ja zum Bordell, aber bloß kein Hurenhaus, das wäre gegen das Gesetz!

Während Kat zur selben Zeit in Hughes' Hemdenfabrik arbeitet und Juniorchef Mason auf ihre Weise verrückt macht, tummelt sich in diesem ungeheuer farbenfrohen Kosmos aber noch eine ganze Schar weiterer Charaktere, die ebenso hinreißend entworfen sind. Viele große und kleinere Nebenrollen füllen immer neue Nebengeschichten aus. Jede fesselt auf ihre Weise, man möchte nicht eine von ihnen missen und verliert auch nie den Faden. Und irgendwie hängt alles mit allem zusammen bis hin zum Mordversuch, der zur skurrilen Farce gerät. Und nicht zu vergessen die Whisky-Brennerei, die gerade hier eine immens wichtige Rolle spielt.

Man ahnt, dass es den großen Zusammenstoß zwischen Pearl und Kat geben muss, doch selbst der hält noch herzerfrischende Überraschungen parat. Ohnehin erweist sich Paula Wall als grandiose Erzählerin mit einmaliger Sprachgewalt voller treffsicherer Formulierungen. Selten werden menschliche Verhaltensweisen so faszinierend mit wenigen Sätzen entlarvt und immer wieder schießt es einem ob so viel funkelnder Lebensweisheit herzhaft ins Lachen. Diese ebenso lebenspralle wie absolut filmreife Geschichte wird zudem zupackend und deftig aber dennoch auch mit viel Charme und Eleganz erzählt.

Und wenn bei all den starken Frauen die vermeintlichen Herrn der Schöpfung zuweilen herbe Niederlagen einstecken müssen, kann das das hochkarätige Lesevergnügen dennoch auch für die kein bisschen beeinträchtigen...

 

# Paula Wall: Wilde Schwestern (aus dem Amerikanischen von Gabriela Schönberger); 410 Seiten; Knaur Verlag, München; € 16,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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