HUGO HAMILTON: „LEGENDEN"

Es ist beklemmend, wie die Familie Liedmann im Bombenhagel auf Berlin den einzigen Sohn verliert und ein verwaister etwa gleichaltriger Junge quasi an seiner Statt einfach von den Eltern als der eigene „übernommen" wird. Doch der seltsame Vorgang ist nicht von Segen bedacht, denn der junge Gregor hegt als Teenager berechtigte Zweifel daran, der leibliche Sohn seiner Eltern zu sein, und das strenge, wenig liebevolle Klima trägt das Seinige dazu bei, dass er das Elternhaus schon mit 17 für immer verlässt.

Daraus entwickelt der deutsch-irische Autor Hugo Hamilton seinen neuen Roman „Legenden", denn mit denen umgibt sich Gregor. Vom letzten Kriegsjahr erstreckt sich das Geschehen bis in die Gegenwart, wenn Gregor mit etwa 60 Jahren heimkehrt – heim zu Ehefrau Mara und Sohn Daniel, die auf einem Hof bei Berlin in geradezu romantischer Idylle leben. Dazwischen jedoch liegen bewegte Jahre, in denen Gregor schwer an seinen Geheimnissen und der Ungewissheit um seine Herkunft und Identität trägt. Er arbeitete als Musiker, lernte in wilden Apo-Jahren die hübsche Physiotherapeutin Mara kennen und als sich ein Kind anmeldete, wurde aus dem Hippie- und Revoluzzerpaar der 60er eine richtige Familie.

Doch so, wie Gregor damals durch Zufall auf Belege gestoßen ist, nach denen er nicht das echte Kind der Liedmanns sondern ein jüdisches Waisenkind sei, so bricht die Geheimnistuerei dann in die Ehe ein und entzweit Gregor und Mara. Diese findet heraus, dass die von ihm stets verleugnete Mutter in Wirklichkeit noch lebt. Und es kommt zu einer Begegnung dieser Frauen, bei der die verbitterte Mutter die Geschichte vom jüdischen Findelkind entschieden als Unsinn darstellt.

Einsamkeit ist die Tragik nicht nur Gregors und sie erwächst aus dieser fatalen Mischung aus Verschweigen und Misstrauen, aus dem Mangel an Verständnis und Barmherzigkeit, die aus den verhärteten Beziehungen zwischen den Generationen nicht herausfinden lassen. Hugo Hamilton spannt den Bogen vom Chaos des Krieges über die Zeiten, als sich die Generationen in den 60er Jahren oftmals endgültig miteinander überwarfen, bis in den zumindest privaten Frieden der späten Jahre zu einem beeindruckenden Zeitengemälde. Darin eingebettet sind Menschenschicksale, die so authentisch sind, dass sie tief berühren.

Fazit: eine recht ungewöhnliche Melange, die aber durch ihre starken Charaktere und ihre ebenso spröde wie souveräne Sprachgewalt überzeugt.

 

# Hugo Hamilton: Legenden (aus dem Englischen von Henning Ahrens); 304 Seiten; Luchterhand Literaturverlag, München; € 19,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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